Die Dunkle Erinnerung
sie ihn an und riss ihn zu Boden. Ächzend ging er nieder. Erin rollte sich ab und war wieder auf den Beinen, bevor Beckwith die Füße aufsetzen konnte. Dann aber sprang er auf, von Angst und der geballten Energie der Jugend getrieben. Doch Erin ließ ihm keine Zeit zum Verschnaufen. Sie versetzte Beckwith einen Tritt vor die Brust, der ihm die Luft nahm. Fluchend ging er erneut zu Boden.
Plötzlich waren Donovan und Lamont bei ihnen.
Erin zog sich zurück. Der junge Cop drehte Beckwith den Arm auf den Rücken und rollte ihn auf den Bauch.
»Ich hab nichts getan!«, heulte Beckwith.
»Warum sind Sie dann abgehauen?«, fragte der Cop, während er dem Mann Handschellen anlegte.
Donovan packte Erin am Arm und zerrte sie von den Männern fort. »Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«
»Ich wollte den Verdächtigen für Sie fangen.« Sie befreite ihren Arm aus seinem Griff. Wieder loderte Zorn in ihr auf. »Oder hätten Sie ihn lieber durch den Wald verfolgt?«
»Das war ein sehr dummer Einfall«, gab er grimmig zurück. »Er hätte Sie verletzen können.«
»Sehe ich so aus?«
Donovan wollte etwas erwidern, hielt dann aber inne, als wäre ihm plötzlich irgendetwas an Erin aufgefallen. Forschend sah er sie an. »Wo haben Sie das gelernt? Einen Mann so in die Knie zu zwingen?«
»Spielt das eine Rolle?«
Wieder schien er eine bissige Entgegnung auf den Lippen zu haben, doch wieder hielt er sich zurück. Sein Blick gab Erin zu verstehen, dass die Sache für ihn noch lange nicht erledigt war. Dann wandte er sich an Lamont, der Beckwith auf die Beine zerrte.
»Lesen Sie ihm seine Rechte vor!«, befahl Donovan. »Dann werde ich ihm ein paar Fragen stellen.«
»Er ist es nicht«, sagte Erin mit Enttäuschung in der Stimme.
Donovan fuhr zu ihr herum. »Was?«
»Er ist nicht der Mann, den ich im Park gesehen habe.« Beckwith bewegte sich anders. Zwar war er jung und agil, doch er besaß nicht die Körperbeherrschung und Grazie des anderen Mannes. Und er hatte sich zu leicht bezwingen lassen.
»Verdammt.« Donovan fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Agent Donovan?«
Mit enttäuschter Miene wandte er sich dem zweiten Officer zu, der vom Streifenwagen zu ihnen kam.
»Was gibt's?«
»Man hat sie gefunden.« Der Officer blieb vor ihnen stehen und schaute zunächst Erin an, bevor er sich an Donovan wandte. »Chelsea Madden wurde aufgefunden.«
8.
Von seinem Fenster beobachtete Ryan die Scheinwerfer, die langsam in Richtung des Herrenhauses krochen. Es war lange nach Mitternacht, also konnte es sich kaum um eine Lieferung handeln oder um Bedienstete, die spät in der Nacht zurückkehrten. Blieb nur eine Möglichkeit.
Trader.
Ryan überlief es eiskalt.
Der General war früher am Tag mit seiner üblichen Eskorte erschienen: in einer schwarzen Stretchlimousine mit vier diplomatischen Begleitfahrzeugen. Kurze Zeit später war ein anderer Besucher gekommen – einer von den vielen, die meistens während der kurzen Besuche des Generals auftauchten. Ein kleiner Kerl, dessen Blicke nervös hin und her huschten, während einer der Männer des Generals ihn ins Haus geleitete.
Trader hingegen kam stets in der Nacht. Immer allein. Niemand hieß ihn jemals willkommen. Und nie hatten seine Besuche etwas Gutes zu bedeuten.
Und doch hatte Ryan sein Kommen erwartet. Der neue Junge, Cody, war bereits länger hier als die meisten Kinder. Drei Tage. Das war schon fast ein Rekord. Es war höchste Zeit, dass Trader ihn abholte.
Ryan verdrängte seine Schuldgefühle und kroch ins Bett zurück. Er wartete auf die dröhnenden Schritte im Korridor, auf das Öffnen der Tür und Schreie der Angst im Nebenzimmer. Er versuchte, die Bilder von Codys bevorstehendem Martyrium zu verscheuchen, mied jeden Gedanken daran, was Cody nun durchmachen musste, wohin Trader ihn bringen würde oder wer sein nächster Besitzer sein mochte. Ryan konnte nichts dagegen tun, konnte das Unwiderrufliche nicht aufhalten …
Der Junge würde auf die harte Tour lernen, was Trotz bedeutete.
Ryan drehte den Kopf zur Seite und betrachtete das langsame Vorrücken des Minutenzeigers auf seinem Wecker. Vier Minuten waren vergangen, seit er Traders Auto gesehen hatte. Nun fünf. Sieben.
Doch im Nebenzimmer herrschte Stille.
Als zehn Minuten vergangen waren, setzte Ryan sich im Bett auf. Es dauerte zu lange. Trader verschwendete sonst nie Zeit. Er kam, nahm Ware mit oder lieferte sie ab und war auch schon wieder
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