Die Dunkle Erinnerung
einem der missmutigen, älteren Cops den Namen der Frau entlocken konnte. Bestimmt waren die alle der Meinung, dass der FBI-Typ eine Spur verfolgte, die im Sand verlief.
Während er dem davonfahrenden Streifenwagen nachschaute, dachte Isaac über seine nächsten Schritte nach. Aus irgendeinem Grund glaubte diese Frau, ihn erkannt zu haben. Aber wie? Und woher kannte sie ihn? Er brauchte dringend Antworten. Ein paar unverfängliche Fragen an die übrigen Cops würden ihn schon auf die richtige Spur bringen. Zuerst aber musste er das Mädchen loswerden.
7.
Erin hatte ein Gefühl, als wäre sie in ein tiefes Loch gestürzt.
Seit sie den Bericht über Chelsea Maddens Verschwinden in den Nachrichten gesehen hatte, benötigte sie all ihre bei der CIA erworbenen Fähigkeiten: Einerseits erinnerte sie der Fall schmerzlich an die Entführung ihrer Schwester, und Erin hätte sich am liebsten wie ein Igel zusammengerollt und verkrochen. Andererseits bestand die Möglichkeit, dass der Mann etwas mit ihrem neunzehn Jahre alten Albtraum zu tun hatte – und dies trieb sie an. Trieb sie zur Polizei. Um zu berichten, was sie gesehen hatte, um Special Agent Donovan davon zu überzeugen, dass sie genau wusste, was sie gesehen hatte, und dass sie nicht verrückt war.
Aber Donovan schien selbst ein wenig neben der Spur zu sein. Er hätte sich ihre Aussage anhören und sie dann kurz abfertigen können. Erin jedenfalls hätte es getan, wäre jemand mit einer solch verrückten Geschichte zu ihr gekommen. Stattdessen hatte sie gespürt, wie Donovan mit jeder Frage aufmerksamer geworden war. Dieser FBI-Agent wusste etwas über den Mann, den sie gesehen hatte, und wollte ihn unbedingt zur Strecke bringen. Deshalb nahm er sie mit: Er wollte dafür sorgen, dass sie den Mann identifizierte.
Mit einem raschen Blick schätzte Erin ihn ein. Er war ein großer, gut aussehender Mann mit dunkelblondem Haar, blauen Augen und kräftigen, regelmäßigen Zügen. Sehr konservativ, sehr klar, sehr FBI. Unter anderen Umständen hätte sie ihn attraktiv gefunden. Im Moment aber sah er müde und ausgelaugt aus; unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, und sein Haar war leicht zerzaust, weil er oft mit der Hand hindurchgefahren war.
»Sie bearbeiten auch den Fall Cody Sanders, nicht wahr?«, fragte Erin. Donovan hatte eine Pressekonferenz abgehalten, um die Medien über den neuesten Stand der Ermittlungen zu informieren. Am Vorabend hatte sie ihn in den Nachrichten gesehen.
Er sah sie forschend an. »Ja.«
»Gibt es eine Verbindung zwischen beiden Fällen?«
Er antwortete zögernd: »Wir wissen es noch nicht.«
»Aber Sie sind hier, nicht in Baltimore. Also muss es doch eine Verbindung geben.«
»Ich darf Ihnen keine Einzelheiten nennen«, sagte Donovan, den Blick auf die Straße gerichtet. »Ich möchte es mal so ausdrücken: Es gibt ein paar Ähnlichkeiten, die ich nicht ignorieren kann.«
Erin hörte, wie er vom ›wir‹ zum ›ich‹ wechselte. Ihr wurde klar, dass er mit seiner Ansicht allein stand. Er war ein Mann, der auf seinen Instinkt vertraute; das erklärte, warum er sich ihre verrückte Geschichte angehört hatte. Ein sympathischer Zug. Erin fragte sich, wie dieser Mann beschaffen war, der seine Karriere in der CAC, der Abteilung für Verbrechen gegen Kinder, gemacht hatte.
Ein wenig wusste sie über den Auftrag der CAC Bescheid. In dieser Einheit wurden verschiedene Fachbereiche und Ermittlerteams zusammengebracht, um Verbrechen gegen Kinder aufzuklären und die Täter zu fassen. Seit 1997 wurden von jeder FBI-Außenstelle mindestens zwei Spezialagenten als CAC-Koordinatoren abgestellt; der Gedanke dahinter war, die Fähigkeiten der Agenten zu bündeln und die Ermittlungen der CAC so fachmännisch wie möglich vorzunehmen. Eine wichtige Arbeit, gewiss, doch viele Lorbeeren heimste man damit nicht ein. War Donovan also ein Mann, der sein Leben der Suche nach Kindern gewidmet hatte? Oder war diese Arbeit für ihn nur eine Sprosse auf der Karriereleiter? Kleinkram, den er hinter sich bringen musste, bevor er größere und prestigeträchtigere Aufträge übernahm?
Aber das spielte keine Rolle, erkannte Erin plötzlich. Sie wandte sich ab und starrte durchs Wagenfenster in die dunkle Nacht. Was immer seine Motive waren – Donovan schien den Mann unbedingt finden zu wollen, und nur das zählte.
»Sie müssen noch ziemlich jung gewesen sein, als Ihre Schwester entführt wurde«, brach Donovan das Schweigen.
Erin drehte sich wieder
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