Die dunkle Horde: Ein Trolle-Roman (German Edition)
Pfade und sogar eine schmale Straße führten durch die Felder. Sie verlief parallel zum Waldrand und endete an dem Stadttor.
Aus der Nähe waren die Schäden noch drastischer. Das Tor war aus den Angeln gerissen worden. Es war aus hellem, dickem Holz, groß und schwer, mit dunklem Eisen beschlagen. Deilava vermochte sich keine Kraft vorzustellen, die es so einfach aufbrechen konnte. Die eine Seite des Torbogens war halb eingestürzt.
Deilava umrundete einen Schutthaufen, trat über einen kopfgroßen, behauenen Felsbrocken hinweg und spähte durch die Toröffnung in die Stadt. Die Häuser waren, wie sie erwartet hatte, im Stil der Eleitam errichtet, lang und geduckt, aus festem Stein, mit dicken Holzbalken verstärkt. Obwohl sie aussahen, als könnten sie allen Naturgewalten trotzen, waren zwei von ihnen direkt am Tor eingestürzt. Balken, die einst die Dächer gestützt hatten, ragten aus den Ruinen in die Höhe. Mauern waren umgestürzt. Ihre Steine lagen auf den Straßen.
Zwar waren keine Leichen zu sehen, aber dunkle Flecken am Boden und an den Hauswänden zeigten, wo überall Blut geflossen war. Es musste ein furchtbares Massaker gewesen sein.
In Deilava kämpften Wissbegier und Sorge miteinander. Sie verharrte einen Schritt vor dem Tor, unwillig, in die Stadt einzutreten, aber getrieben von dem Bedürfnis, mehr zu erfahren.
Narem ging an ihr vorbei und nahm ihr die Entscheidung ab.
Deilava hatte erwartet, dass die Verwüstung sich besonders auf den Bereich am Tor beschränken würde, denn dort musste der Feind eingedrungen sein. Aber während sie langsam die größte Straße entlanggingen, die vom Tor bis ins Zentrum der Stadt führte, änderte sich das Bild nicht. An den Häusern sah Deilava unglaubliche Beschädigungen, überall lag Schutt, und manche Gebäude waren kaum mehr als Ruinen. Wände waren eingestürzt, Dächer nicht mehr vorhanden. Es war, als habe hier der schrecklichste Sturm aller Zeiten gewütet. Doch die anderen Spuren sprachen eine deutlichere Sprache: überall war Blut.
Obwohl sie nun alles aus der Nähe sah, konnte Deilava nicht sagen, wessen Zorn sich hier entladen hatte.
Deilava überlegte, wie viele Eleitam in Ke’leth gelebt haben mochten; es mussten mehrere hundert gewesen sein. Von ihnen fehlte jeder Überrest.
Die Straße lief auf einen größeren Platz zu. Und dort sahen sie nun, was mit ihnen geschehen war. Ein größeres Gebäude hatte den Platz einst dominiert, vielleicht eine Art Versammlungshaus. Es war niedergebrannt. Nur noch dicke, geschwärzte Mauern ohne Dach, alles halb eingestürzt. In seinem Innern lag die Asche kniehoch. Dunkel, fast schwarz. Doch immer wieder unterbrochen von hellen Flecken.
Knochen , erkannte Deilava mit Entsetzen. Dutzende, Hunderte von Knochen, begraben in der Asche.
Ihrer Kehle entrang sich ein Stöhnen. Neben ihr keuchte Narem auf. Sie hatten die Eleitam von Ke’leth gefunden.
22
K arn lag wach und grübelte. Das Feuer war längst heruntergebrannt, aber der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen, und das lag nicht an der Kälte, die hier, in der windgeschützten Mulde im Schnee, welche die Jäger seines Stammes geschaffen hatten, immerhin weniger beißend war als hoch in den Bergen.
Er lauschte in die Nacht, aber bis auf ein paar leise Gespräche hier und da war nichts zu hören.
Mit einem Seufzen drehte er sich um, und sein Blick fiel auf Ruk, der ziemlich unbequem dalag, wohl um die verwundete Schulter zu schonen. Sein Bruder war ebenfalls wach, auch wenn Karn vermutete, dass dies eher auf die Schmerzen zurückzuführen war, die er ertragen musste. Sie blickten einander an, dann kroch Karn zu ihm hinüber. »Geht es?«
»Wird schon«, murmelte Ruk und rieb sich mit der Hand die Haut um die Wunde. »Vorhin habe ich geschlafen, bis mich Ksisas Schnarchen geweckt hat. Morgen wird es hoffentlich besser sein.«
Karn nickte, hob an, etwas zu sagen, schwieg dann aber. Er sah hinauf zum Nachthimmel, an dem dünne Wolkenfetzen vor den Sternen entlangzogen.
»Akken ist noch nicht wieder da?«
Karn schüttelte den Kopf.
»Vermutlich besprechen sie alle, wohin wir genau ziehen. Hoffentlich spricht der Gefangene. So richtig gute Stellen, um Beute zu machen, haben wir jetzt nicht ausgespäht.«
»Israk scheint sich sehr sicher zu sein.«
»Ja.« Ruk schnaubte. »Er und seine Jäger waren schon in den Ebenen. Vermutlich weiß er längst, wohin er will.«
Karn blickte seinen Bruder überrascht an. »Warum hätte er dich dann
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