Die dunkle Macht des Mondes
zurückzog.
Eine gedämpfte Stille legte sich über das Lagerhaus. Bis auf Dorian und Walter war es jetzt leer. Andere Männer kamen und gingen, aber die meisten fühlten sich in Dorians Gegenwart unwohl, selbst wenn er vollkommen bei Sinnen war. Sie zogen nach ein paar Wochen weiter und überließen ihn seiner willkommenen Einsamkeit.
Einsamkeit, von der er nur hoffen konnte, dass Gwen Murphy sie nicht noch einmal störte.
Als Gwen in der Lokalredaktion ankam, ging es hektisch zu, wie fast zu jeder Tageszeit. Reporter an ihren Schreibtischen brüllten in Telefonhörer und hämmerten auf ihren Schreibmaschinen herum, Bleistifte hinter die Ohren geklemmt. Eifrige Laufjungen huschten hin und her, führten Aufträge aus und überbrachten Nachrichten für ihre Vorgesetzten. Mr. Spellman, schon ganz rot im Gesicht, gestikulierte hinter den Glasscheiben seines Büros wild auf einen der Redakteure ein.
Alles war ihr tröstlich vertraut. Niemand hatte ihr Kommen bemerkt. Mitch war nicht an seinem Schreibtisch, aber das war er selten. Er zog die Beinarbeit dem Verfassen von Artikeln vor. Gwen winkte einem der freundlicheren Reporter zu und ging aus der Lokalredaktion in das kleine Büro, in das man sie und die anderen weniger privilegierten Angestellten abgeschoben hatte.
Lavinia feilte ihre Fingernägel und sah sich den Tumult auf der anderen Seite des Flurs mit einem amüsierten Ausdruck im Gesicht an. Sie bemerkte Gwen und winkte mit den Fingern. Gwen schlängelte sich zwischen den Schreibtischen hindurch bis in Lavinias ruhige Ecke und ließ sich in einen Stuhl fallen.
“Was ist los, Süße?”, sagte Lavinia und unterzog Gwen einer eingehenden Betrachtung. “Du siehst aus wie etwas, was die Katze von draußen reinschleppt.”
Gwen lachte. “So fühle ich mich auch.”
Und das war noch milde ausgedrückt. Sie hatte den Geschmack des Flusswassers noch auf der Zunge und konnte es in ihren Haaren spüren, obwohl sie ein schnelles Bad genommen und sich neue Kleider angezogen hatte. Im Taxi zurück ins Büro war ihr das Zittern gekommen, als ihr endlich aufging, wie knapp sie dem Tod entwischt war.
“So schlimm, was?”, sagte Lavinia. Sie bot Gwen eine Zigarette an. “Nimm eine, Süße. Davon geht es dir gleich besser.”
“Danke, Vinnie, aber du weißt, ich rauche nicht.”
“Dein Pech.” Lavinia steckte ihre eigene Zigarette an und nahm einen langen Zug. “Wo warst du den ganzen Tag? Ich hab angefangen, mir Sorgen zu machen.”
“Du weißt, ich bin runter an den Fluss –”
“Trotz Spellmans Emahnung, dich an deine eigenen Sachen zu halten.”
“Die Gesellschaftsseiten sind dein Ressort, nicht meines.”
“Du meinst, sie sind nicht gut genug für dich. Nein, ich mache dir keine Vorwürfe. Es ist saulangweilig, sogar für eine alte Frau wie mich.”
Gwen stellte ihre Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte ihr Kinn in ihre Handfläche. “Niemand macht das besser als du, Vinnie.”
“Klar.” Die ältere Frau drückte ihre Zigarette aus. “Und, was ist aus der Sache geworden?”
“Mein Informant ist nicht aufgetaucht.”
“Das tut mir leid.”
“Ich habe aber vielleicht eine andere Spur gefunden.”
“Erzähl.”
Gwens Schultern kribbelten. Seit sie das Lagerhaus verlassen hatte, hatte sie nicht aufgehört, an Dorian Black zu denken. “Erst mal sehen, wie sich die Sache entwickelt.”
“Du meinst, du willst nicht darüber reden.”
“Nimm es nicht persönlich, Vinnie. Hewitt ist es, dem ich nicht vertraue.”
“Du glaubst immer noch, du kannst die Sache schneller aufdecken als er?”
“Und wenn es mich umbringt.”
“Oder Spellman dich rauswirft.” Vinnie lächelte schief. “Behalt deine Geheimnisse für dich, ich finde sie sowieso irgendwann raus.”
“Das weiß ich doch, Vinnie.” Sie stand auf. “Pass auf, ich habe noch einiges an Recherche zu erledigen. Lass uns irgendwann demnächst mal zusammen Mittag essen.”
“Sag einfach wann, Süße.”
“Bis dann.” Gwen schob den Stuhl wieder zurück an seinen Platz und ging durchs Büro zurück zu ihrem Schreibtisch. Er war genauso unordentlich wie die der Männer, nur ein kleiner Bereich war frei von Kram – die Ecke, in der das gerahmte Bild von Eamon Murphy stand.
Sie warf ihre Aktentasche auf einen wackligen Papierstapel, setzte sich auf ihren harten Stuhl und sah sich die Schlagzeilen der Spätausgabe an, die man ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. Noch mehr über Ross Kavanaghs Gerichtsverhandlung.
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