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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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beugte sich vor und flüsterte: »Oder doch eher unsolid?«
    Mit erhabener
Grandezza meinte Bissing: »Was einem Pfaffen vielleicht unsolid erscheinen mag,
ist für einen Durchschnittsbürger lediglich eigenwillig oder ungestüm.«
    »Also gut.
Sie bestimmen Zeit und Ort, Herr Kommissar, und ich bin Ihr Mann.«
    »Sonnabend,
22 Uhr. Sie werden abgeholt.«
     
    Albrecht Krosick grinste. Er grinste
und hörte nicht auf damit, bis ihn Bentheim unsanft anstieß. An diesem Abend saßen
sie im Garten der Königlichen Tierarzneischule auf einer hölzernen Bank und tranken
Bier. Das Plätzchen, das sie sich ausgesucht hatten, war schattig und einladend.
62 Jahre zuvor hatte von ebendiesem Ort aus der Aeronaut André-Jacques Garnerin
mit seiner Gattin und einer weiteren Person eine Luftfahrt unternommen. Sogar der
König war unter den geladenen Gästen gewesen und hatte mitverfolgt, wie der Ballon
in die Lüfte gestiegen und anmutig fortgeschwebt war.
    »Fortan
bist du Bissings persönlicher Pornograf. Alle Achtung!«
    »Himmeldonnerwetter,
Albrecht! Sei leise, ich bitte dich. Man könnte uns hören.«
    »Deine Zeichnungen
haben dem Kommissar also gefallen?«
    »Anscheinend.«
    »Ihm wird
es auch weniger auf die Perspektive ankommen, nehme ich an. Ich habe deine Skizzen
vom Erhängten auch gesehen. Da hast du ja einen kapitalen Bock geschossen, was die
Fluchtpunkte anbelangt.«
    »Wieso?
Was ist damit?«
    »Irgendwie
fand ich das Bild seltsam; keine Ahnung, wieso. Meine Erfahrung als Fotograf sagt
mir, dass die Verhältnisse nicht stimmen können.«
    »Die Daten
wurden mir von den Gendarmen angegeben. Alles ausgemessen und schriftlich niedergelegt.«
    »Tja, dasselbe
musst du dann wohl auch morgen Abend machen.«
    »Was?«
    »Für Bissing
die Weiber ausmessen und die Daten schriftlich niederlegen.« Krosick grinste erneut
und setzte zu einem kräftigen Schluck aus seiner Flasche an. Es war bereits die
dritte in dieser Stunde, was Bentheim mit einer Mischung aus Staunen und Besorgnis
verfolgte.
    »Meinst
du nicht, es reicht allmählich? Wenn du so weitermachst, wirst du nie und nimmer
40. Du stirbst früh genug an einer Leberzirrhose.«
    »Du hast
Leber gesagt.«
    »Na und?«
    »Leber,
Julius. Le-ber!«
    Bentheim
seufzte. Die Unsitte, an allen möglichen und unmöglichen Orten Leberreime aufzusagen,
war eine preußische Tradition, die ihm mittlerweile von Herzen gestohlen bleiben
konnte.
    »Die Leber
stammt von einem Hecht und nicht von einem Rochen. Bienen mag ich wirklich nicht,
sie haben mich gestochen«, improvisierte er.
    »Hurra!
Ein dreifaches Hoch auf unseren Poeten. Aber um wieder auf das andere Wort mit P
zurückzukommen …«
    »Ja, ja,
schon gut. Was willst du wissen?«
    »Wo ist
der Treffpunkt?«
    »Vor unserem
Haus.«
    »Dann werde
ich unsere liebe Witwe Losch ablenken müssen. Du willst doch nicht, dass die gute
Amalia etwas von deinen Umtrieben erfährt?«
    »Gute Güte,
nein. Dafür wäre ich dir ewig dankbar.«
    »Du kannst
mir dankbar sein, indem du mir endlich etwas über den Prozessverlauf verrätst. Hat
man Goltz des Totschlags angeklagt?«
    »Woher …?«
    »Ich habe
geraten, Julius. Aber es war damit zu rechnen. Für einen kaltblütigen Mord fehlen
der Staatsanwaltschaft die Beweise. Was können sie denn schon vorweisen? Sie haben
kein Motiv, sie haben keine Augenzeugen. Wenn das Motiv fehlt, wird es schwierig,
einen Mord aus Vorsatz aus dem Hut zu zaubern. Dann die in die Tat involvierten
Personen: der Täter aus angesehenen Verhältnissen, elegant, rhetorisch versiert
und intelligent; das Opfer eine Gelegenheitshure aus einer Mietskaserne, welche
mit zwielichtigen Subjekten aus der Unterschicht bevölkert ist. Wer erscheint da
wohl vertrauenswürdiger?«
    Bentheim
zuckte die Achseln. »Die Kulm kann man schwerlich dazu befragen. Aber ich weiß,
worauf du hinauswillst. Doch es gibt Beweise: die Tatwaffe, die Anwesenheit des
Professors vor Ort, seine blutbesudelte Kleidung, schließlich sein Geständnis.«
    »Das nennst
du Beweise? Für mich sind das Indizien. Görne will auf Nummer sicher gehen, wenn
er die Mordanklage fallen lässt und auf Totschlag plädiert.« Er hob seine Bierflasche
hoch und nahm einen letzten Schluck. Wehmütig hielt er sie kopfüber, um auch die
letzten Tropfen zu erwischen, und stellte sie dann beiseite. »Ach, es ist ein Jammer.«
    »Der Fall?«,
fragte Bentheim.
    »Nein, dass
das Bier alle ist.«
    Die Schatten
waren länger geworden, seit die Sonne hinter einer der hohen

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