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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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Anwesenheit all dieser Personen
festgestellt worden war, wurden sie durch den Vorsitzenden über ihre Aussagepflicht
belehrt und vereidigt. Danach führte man sie aus dem Sitzungssaal und der Richter
bat den Angeklagten, sich zu erheben.
    Mit beinah
dienerhafter Beflissenheit kam Botho Goltz der Aufforderung nach.
    »Das Hohe
Gericht wird Ihre Personalien aufnehmen, Herr Professor Goltz. Man wird Sie zu Ihrer
Person vernehmen, wobei Sie über Ihre persönlichen Verhältnisse Auskunft geben müssen.
Auch obliegt es Ihnen, uns über Ihren Werdegang zu berichten. Erst danach wird der
Staatsanwalt die Anklage verlesen. Haben Sie mich verstanden?«
    Der Rothaarige
nickte.
    »Ich möchte
Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie sich artikulieren müssen, und zwar mit eindeutigen
Antworten. Gestik und Mimik können schwerlich protokolliert werden, Herr Professor.«
    »Jawohl,
Herr Vorsitzender.«
    Der Richter
winkte ihn mit einer Handbewegung zu sich heran und deutete auf den Vernehmungssitz
etwas unterhalb der Richterpulte.
    »Herr Vorsitzender«,
rief Staatsanwalt Görne, der aufgestanden war. »Die Antwort des Angeklagten war
nicht eindeutig. Bezog sie sich auf die erste oder die zweite Frage?«
    »Herr Anwalt«,
brummte Jänert, »sparen Sie sich Ihre Einsprüche für die wichtigeren Dinge auf.
Unterbrechen Sie den Verlauf der Handlung, wenn es notwendig erscheint, aber nicht,
um sich zu profilieren. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit harter Hand Ordnungsgelder
ausspreche. Haben Sie mich verstanden?«
    »Jawohl.«
    »Jawohl,
Herr Vorsitzender!«, belehrte ihn der Richter mit bissigem Spott.
    »Jawohl,
Herr Vorsitzender«, wiederholte der Anwalt. Äußerlich war ihm nichts anzumerken,
doch Julius ahnte, dass er innerlich kochte. Das Publikum, das gebannt den ersten
Wortwechsel verfolgt hatte, amüsierte sich. Botho Goltz hingegen stand mit leicht
linkischer Miene zwischen Verteidigung und Richterpult. Es hatte den Anschein, als
wisse er nicht, wohin er zu gehen habe. Blitzschnell griff Bentheim nach einem Stift
und skizzierte in groben Zügen diesen Gesichtsausdruck, der so anders war als in
der Mordnacht.
    Die Geschworenen
bekundeten großes Interesse für die Lebensgeschichte des mutmaßlichen Mörders. Dieser
hatte sich endlich neben das Richterpult gesetzt und ließ die Fragen des Staatsanwalts
über sich ergehen. Seine Antworten klangen teils offen und ganz natürlich, teils
seltsam verstockt, wenn es darum ging, sich über seine Gefühlswelt zu äußern. Das
Publikum erfuhr, dass Botho Goltz in Potsdam geboren, dort aufgewachsen und zur
Schule gegangen war. Er hatte zwei Semester Kameralwissenschaften studiert, bevor
er auf Philosophie und Alte Geschichte wechselte. Seit mehr als 20 Jahren war er
nun Professor auf dem Gebiet der Metaphysik und Ontologie, wobei er einen modernen
anthropologischen Ansatz verfolgte, der von Schopenhauers Lehre vom Vorrang des
menschlichen Willens geprägt war. Mit Ludwig Feuerbach hatte er bereits zusammengearbeitet,
auch mit dessen inzwischen verstorbenem Kontrahenten Max Stirner war er bekannt
gewesen. Als Privatmensch lebte Goltz bescheiden und gönnte sich weder Dienstmagd
noch Köchin, obgleich sein Auskommen dafür gereicht hätte. Er war nie verlobt gewesen
und verwies auf sein Recht der Aussageverweigerung, als Theodor Görne ihn bezüglich
gewisser Liebschaften oder Frauengeschichten verhörte.
    Als die
Befragung beendet war, forderte Richter Jänert den Staatsanwalt auf, die Anklage
zu verlesen. Görne ging zu seinem Tisch und ließ sich von einem seiner Helfer eine
Mappe mit Dokumenten reichen. Angespannte Ruhe legte sich über den Saal. Nur das
Gekritzel der Gerichtszeichner, die ihre Stifte über die Blätter huschen ließen,
war zu vernehmen. Der Anwalt räusperte sich und las mit monotoner Stimme das sogenannte
Rubrum der Anklageschrift, in welchem er die individuellen Daten des Beschuldigten
aufzählte und Zeit und Ort der Tatbegehung nannte.
    Hier hielt
Görne kurz inne, damit der Richter einem Protokollanten anordnen konnte, die örtliche
Zuständigkeit des Gerichts als gegeben zu vermerken.
    »Fahren
Sie fort«, bat Johann von Jänert. »Das Hohe Gericht ist gespannt zu erfahren, welches
Abstraktum Sie zum Kern Ihrer Anklage erhoben haben.«
    Görne verneigte
sich leicht in Richtung der Richter.
    »Hohes Gericht«,
begann er, »die Staatsanwaltschaft sieht keinerlei Kriterien für einen Mord gegeben.
Auch die privilegierende Tötung auf Verlangen ist unseres

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