Die dunkle Muse
Erachtens auszuschließen.
Es ist daher von Tötung in einer heftigen Gemütsbewegung auszugehen, weshalb wir
gegen Professor Botho Goltz Anklage wegen Totschlags erheben. Aufgrund der äußerst
brutalen Art und Weise, wie das Mordopfer den Exitus fand, verlangen wir die Verhängung
einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren.«
Aufregung
erfasste den Zuschauerraum. Für die Zeitungen, die über den Mordfall Kulm berichtet
hatten, war es eine ausgemachte Sache gewesen, dass der Professor, der als rothaarige
Bestie geschildert wurde, des Mordes verdächtigt wurde. Die Leute begannen zu tuscheln,
was Richter Jänert mit gereizter Miene verfolgte.
»Herr Staatsanwalt,
habe ich Sie richtig verstanden? Sie beschuldigen Herrn Professor Goltz des Totschlags?
Nicht des Mordes?«
Noch ehe
Theodor Görne antworten konnte, hatte sich der Verteidiger des Professors erhoben
und rief, den sich anbahnenden Tumult übertönend: »Hohes Gericht, ich beantrage
eine Vertagung der Verhandlung. Außerdem wünscht mein Mandant eine Anklageerhebung
wegen Mordes. Falls diesem Antrag nicht stattgegeben wird, bedingen wir uns die
Ladung neuer Zeugen aus.«
Für einen
kurzen Augenblick huschte ein Flackern über das Gesicht des irritierten Richters.
Er beugte sich erst nach rechts, dann nach links und hielt leise murmelnd mit seinen
Beisitzern Rat. Als er sich mit dem Hammer Gehör verschaffte, verstummte der Saal
allmählich.
»Dem Antrag
wird stattgegeben. Die nächste Sitzung verlege ich auf nächsten Montag um die Mittagsstunde.
Und Sie, meine Herren Anwälte, will ich unverzüglich im Richterzimmer sehen! Gerichtsdiener!
Lassen Sie den Saal räumen.«
Neuntes Kapitel
Der Mann, der Julius Bentheim später
im Gang des Kollegienhauses entgegentrat, war kein Geringerer als Kommissar Bissing.
Das einfache Volk tummelte sich immer noch auf dem Flur, heftig diskutierend, manche
aufgebracht Zeter und Mordio schreiend. Der Polizeibeamte reichte dem jungen Studenten
die Hand und grüßte einnehmend.
»Ein Beginn
mit Knalleffekt«, meinte er.
»Das kann
man laut sagen.«
»Sie üben
den Beruf als Zeichner schon lange aus?«
»Nein, Gott
bewahre«, wiegelte Julius ab. »Ich bin Student. Das Zeichnen ist ein Steckenpferd,
das mitunter Geld in die Kasse spült, wenn sonst Ebbe herrscht.«
»Aber Sie
könnten es zur Profession machen, Herr Bentheim. Ich habe einige Ihrer Werke gesehen,
wenn man denn überhaupt von Werken im klassischen Sinn sprechen darf.«
»Der künstlerische
Aspekt wird natürlich bei solchen Arbeiten hintangestellt«, bestätigte er. »Sie
haben Tatortskizzen von mir?«
»Die Umstände
haben mich gezwungen, den Fall mit Horlitz zu tauschen. Sie sind ja darüber informiert,
dass ich den Angeklagten Goltz persönlich kenne und deshalb als befangen gelte.
Deshalb habe ich die Akte mit dem Selbstmord abgeschlossen. Sie wissen schon, der
Erhängte in der Laube.«
»Ja, dort
hat uns der Polizeiaspirant angetroffen, der ausgeschickt worden war, uns in die
Mietskaserne zu beordern. Weshalb übrigens hat sich der Mann umgebracht? Gab es
einen Abschiedsbrief? Wir hatten keinen gefunden.«
»Er hatte
ihn mit der Post geschickt, adressiert an die Gendarmen am Molkenmarkt, aufgegeben
wenige Stunden vor seinem Tod. Die klassischen letzten Worte eines Verbrechers.
Der Mann war polizeilich bekannt. Viktor Hackeborn. Ein mutmaßlicher Vergewaltiger,
der noch vor drei Monaten das letzte Mal wegen sexueller Nötigung vor Gericht stand
und aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden musste. Er hat ein Geständnis abgelegt,
bevor er die Schlinge wählte. Aber um auf Ihre Skizzen zurückzukommen …«
»Ja?«
»Auch Herrn
Krosick ist Ihr Feingefühl aufgefallen, mit welchem Sie einzelne Segmente hervorheben,
hier eine Nuance detailreicher sind, dort etwas mit kräftigen Pinselstrichen betonen.
Auch lobt er Ihre Verschwiegenheit.«
Sie hatten
einige Schritte zurückgelegt und den Großteil der Menge hinter sich gelassen. Julius
ahnte bereits, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte. Die Lockungen des Geldes,
das er verdienen könnte, kämpften mit seinem anerzogenen Schamgefühl. Außerdem war
da noch der Reiz des Verbotenen, dem er sich seit jeher nur schwer entziehen konnte.
Filine würde nie etwas von dieser Arbeit erfahren. Er gab sich einen Ruck und antwortete:
»Verschwiegenheit ist eine Tugend.«
»So wären
Sie vielleicht nicht abgeneigt, mir persönlich ein paar eigenwillige Portraits zu
erstellen?«
»Eigenwillig?«
Er
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