Die dunkle Muse
werter Herr«, wurde er angesprochen. Es war sein Reisegefährte, der mit ihm
redete und ihn sanft am Oberarm berührte, um die Richtung anzugeben. »Sie müssen
ein Pseudonym wählen. Die Diener werden sogleich ein Dutzend Visitenkarten herstellen
und Sie Ihnen aushändigen, sobald Sie Ihren Domino und Ihre Maske angezogen haben.«
»Ich muss
mich verkleiden?«
»Die Veranstaltung
ist – hm, sagen wir mal: ein wenig schlüpfrig, aber dennoch äußerst exquisit. Und
Exquisites muss in einem vorgegebenen Rahmen ablaufen, wenn es nicht profan werden
möchte. Außerdem versteht es sich von selbst, dass die Teilnehmer darauf achten,
später nicht in die blamable Lage zu geraten, einander bei einer Teegesellschaft
zufällig zu erkennen. Ein Höchstmaß an Diskretion wird vorausgesetzt.«
»Ich bin
lediglich hier, um zu zeichnen. Was auch immer …«
»Nichtsdestoweniger
wird von Ihnen dieselbe Zurückhaltung verlangt. – Achtung, der Herr, jetzt kommen
drei Stufen.«
Bentheim
wurde eine kleine Freitreppe hinaufgeführt. Er hörte, wie sich zwei schwere Flügeltüren
öffneten und hinter ihm wieder schlossen. Eine weitere Person übernahm jetzt seine
Führung und geleitete ihn einige Schritte weit in ein anderes Zimmer.
»Sie dürfen
die Binde nun absetzen, mein Herr«, sagte jemand, den Bentheim kurz darauf als älteren
Kammerdiener in schwarzer Weste und mit Glacéhandschuhen erkannte. Das Zimmer besaß
ein Fenster, doch waren schwarze Vorhänge vorgezogen, die alles verdunkelten. Bei
aller Vorsicht, die die Hausherren walten ließen, waren vermutlich auch die Läden
geschlossen. In einer Ecke stand eine Eichenkommode, an einer Wand ein Sekretär
mit herausgezogener Schreibtischlade, an der Wand gegenüber ein französischer Bonheur-du-jour,
ein zierlicher Damenschreibtisch mit einem rückwärtigen niedrigen Aufsatz. Die Möbelstücke
waren von erlesener Schönheit und mit Geschmack ausgewählt. Mehrere Lampen spendeten
Licht.
Ein Diener
in Livree betrat das Zimmer und brachte einen Domino. Als Julius ihn übergezogen
hatte, reichte er ihm bis zu den Waden. Das Kleidungsstück war gänzlich in Schwarz
gehalten und mit einem Schulterumhang und einer Kapuze versehen, ähnlich jener von
Mönchen.
»Ihren Namen,
der Herr?«, wollte der Kammerdiener wissen.
»Graf von
Saint-Germain.«
»Wie einfallsreich«,
entgegnete der Alte trocken und Julius wusste nicht, ob es ironisch gemeint war.
Dennoch deutete er eine Kopfbewegung an, woraufhin ein zweiter Diener den Raum verließ
und kurz darauf mit einer dümmlich grinsenden Dienstmagd im Gefolge zurückkehrte.
Sie setzte sich wortlos an den Bonheur-du-jour, öffnete eine Schublade und zog ein
Bündel leerer Visitenkarten hervor, die sie nacheinander zu beschriften begann.
Bentheims Blicken war nicht entgangen, dass der Schreibtisch ansonsten leer war.
Keine Hinweise auf persönliche Habseligkeiten. Nichts, was die Identität der Besitzer
erahnen ließ. Er nahm an, dass der Ort für das geheime Treffen mit Bedacht gewählt
worden war.
Nach zwei
Minuten hatte die Magd die Visitenkarten fertiggestellt. Ein letztes Mal schüttete
sie noch Sand über die Tinte und ließ ihn dann in eine Box aus Zinn mit Intarsien
aus Perlrochen rieseln.
»Gibt es
eine Knickregel?«, fragte Julius, als er die Karten entgegennahm.
Die Magd
kicherte. »Ja, ein Knick bedeutet Aktivität, zwei Knicke Passivität.«
»Ich verstehe
nicht ganz.«
Der Kammerdiener
hüstelte verlegen, wandte sich an die Magd und meinte: »Es ist gut, Fräulein Pauline,
Sie dürfen uns jetzt verlassen.« Als sie gegangen war, erklärte er: »Sie knicken
die Karte einmal, sofern Sie auf die Pirsch gehen und Ihr Jagdgewehr in Anschlag
nehmen wollen. Es ist erlaubt oder gar gefordert, so viele Patronen zu verschießen,
wie Sie nur wollen. Falls Ihnen eher die passive Rolle zusagt und Sie erlegt werden
wollen wie eine Damhirschkuh, so knicken Sie Ihre Karte zweimal.«
»Wie eine
Damhirschkuh?«
»Sie mögen
verzeihen. Das Vokabular der Jagd ist mir nicht so geläufig. Ich wollte lediglich
ein passendes Bild hervorrufen.«
»Schon gut,
schon gut, ich bin als Zeichner hier. Ich brauche weder einen noch zwei Knicke.«
Mit gravitätischem
Schweigen betrachtete der alte Diener den jungen Mann im Domino. Ein unscheinbares
Zucken fuhr über sein Gesicht, als er endlich meinte: »Das ist gut so. Die Zeiten
ändern sich, junger Herr. Aber nicht immer zum Besseren. Wahrlich, nicht immer zum
Besseren … Hier,
nehmen Sie
Weitere Kostenlose Bücher