Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
Vom Netzwerk:
die Maske. Und nun kommen Sie, ich führe Sie hinauf.«
    Sie betraten
den Gang. Julius Bentheim sah sich um. Die Neugier trieb ihn herauszufinden, wo
er sein mochte, wer hier wohnte, wie viele Details er sich merken könne. Die Haustür,
durch die er hereingeführt worden war, war geschlossen und er kam an sorgfältig
mit Pappe verklebten Fenstern vorbei. Die Böden waren mit flauschigen Teppichen
ausgelegt; es mussten wohl mehrere Lagen übereinander sein. Über eine sanft geschwungene
Treppe erreichten sie das obere Stockwerk. Dort kamen sie an mehreren Zimmern vorbei,
deren Türen bloß angelehnt waren, teilweise auch ganz offen standen und somit den
Blick auf das schändlichste Treiben freigaben, das man sich vorstellen konnte.
    In einem
Lehnsessel saß ein nackter Fettkloß, den Kopf mit einer Maske verhüllt, welche den
sagenhaften Zwergenkönig Alberich darstellte. Lange zottelige Haare standen davon
ab. Die Haut des Mannes glänzte vor Schweiß und erinnerte mit ihrer rosa Färbung
an ein junges Ferkel. Während er lautstark stöhnte, sah er einem Paar zu, das sich
vor ihm auf einem grünen Rokoko-Sofa miteinander vergnügte. Auch die anderen Zimmer
boten ein Panoptikum an Vorgängen, welche die breite Öffentlichkeit wohl als widerwärtig
bezeichnet hätte. Bentheim war keineswegs heuchlerisch. Er wusste, dass die Natur
des Menschen einen zu ebenso Merkwürdigem wie Zügellosem drängen konnte. In der
preußischen Gesellschaft, die so prüde war wie die viktorianische, konnte ein Überdruss
an Sexualität deshalb im Unbewussten gar nie vorhanden sein. Menschen suchten sich
folgerichtig ihr Vergnügen und fanden es auch in vielerlei erotischen Vorlieben:
Es gab das Verlangen nach unbeseelten Gegenständen, nach Fetischen oder Kostümen
und Rollenspielen aller Art. Bentheims Freund Albrecht zum Beispiel sah es als wenig
verwerflich an, hin und wieder Frauen für Liebesdienste zu bezahlen. Bei seinen
Besuchen erzählten ihm jene Mädchen oft von abartigen Dingen, die sie für ihre Freier
tun mussten, und Albrecht lauschte den Geschichten stets mit einer Mischung aus
Faszination und Ekel. Dass er sie bei der nächsten Gelegenheit brühwarm weitergab,
war natürlich nicht zu umgehen. So erfuhr der Zeichner von Spielarten der Sexualität
wie Emetophilie, Dakryphilie und Eproctolagnie.
    Bentheim
musste sich zugestehen, dass die Atmosphäre des Ortes ihre Wirkung auf ihn zu entfalten
begann. Mit wachsendem Interesse betrachtete er die unbekleideten Körper. Über die
Männer sah er gleichgültig hinweg, doch die Vielfalt an unterschiedlichsten weiblichen
Formen faszinierte ihn. Sie betraten einen größeren Raum, der wie ein Atrium gehalten
war. Eine gläserne Kuppel spannte sich über ihn und gab den Blick auf einen wolkenlosen
Himmel frei, der vom Mond beleuchtet wurde. Mehrere Personen lagen auf Récamièren
oder saßen plaudernd auf Sofas, kristallene Gläser in den Händen haltend.
    »Der Graf
von Saint-Germain«, verkündete der Kammerdiener. Er zeigte auf ein mit Visitenkarten
gefülltes Silbertablett auf einem Möbel.
    Bentheim
schüttelte den Kopf. Stattdessen hob er für alle sichtbar seine Zeichenmappe in
die Höhe und wartete, ob sich jemand regte. Ein Mann in dunklem Umhang löste sich
aus einer Gruppe und trat auf ihn zu.
    »Interessantes
Pseudonym«, sprach ihn der Verkleidete an, an dessen Stimme Julius mühelos Kommissar
Moritz Bissing erkannte. »Ein Abenteurer und Okkultist, auf den selbst Casanova
eifersüchtig war. Es würde mich nicht wundern, wenn der alte Graf selbst gelegentlich
an solchen Feiern teilgenommen hätte.«
    »Unter Umständen
ist er sogar heute hier«, entgegnete Julius. »Wie Sie vielleicht wissen, stand der
Graf von Saint-Germain im Ruf, das ewige Leben zu besitzen.«
    »Möglich
ist alles«, lächelte Bissing. »Aber kommen wir zum eigentlichen Grund Ihrer Anwesenheit.
Wie ich sehe, sind Sie ausreichend mit Papier und Feder ausgestattet.«
    Bentheim
klopfte bejahend auf die Zeichenmappe.
    »Gut, folgen
Sie mir nach. Ihre Bezahlung wird anonym erfolgen, und zwar in dreimaligen Raten.
Ein Bote wird die Umschläge vorbeibringen und nur an Sie persönlich abgeben.«
    »Was muss
ich tun?«
    Bissing
war an einer Tür angekommen und stieß sie auf. Obgleich das Zimmer keine Fenster
besaß, war es keineswegs stickig. Ein ausgeklügeltes Lüftungssystem sorgte für gute
Zirkulation der Luft. Ein tragbarer Leuchter mit drei Kerzen verbreitete schummriges,
aber warmes Licht, das auf ein

Weitere Kostenlose Bücher