Die dunkle Schwester
tut mir leid, Eden«, sagte Tania. »Ich bin natürlich froh, dass du lebst und dass wir wieder zusammen sind. Aber was ist jetzt mit dem Hexenkönig? Wie sollen wir gegen ihn kämpfen, wenn wir Oberon nicht finden?«
»Was du sagst, ist richtig, Tania«, antwortete Eden. »Es wäre gut, die Absichten des Hexenkönigs zu kennen, doch meine Kräfte sind sehr geschwächt. Die Sicht ist mir verdunkelt und meine Kunst lässt mich im Stich. Wenn ich doch nur näher an den Hexenkönig herankommen könnte, um seine Gedanken zu lesen!« Sie schwieg einen Augenblick und fügte nachdenklich hinzu: »Möglich wäre es. Ein einfacher Wandlungszauber müsste genügen. Jedoch, ich weiß nich t … die Gefahr wäre zu groß.«
»Ein Wandlungszauber?«, fragte Tania. »Was ist das denn?«
»Ein Zauber, der deine Gestalt verändert, damit du dich unerkannt unter deinen Feinden bewegen kannst.«
»Cool. Und das kannst du?«
»Ja, wenn ich Zeit und Ruhe dazu habe«, erwiderte Eden.
Sancha stöhnte leise und ihre Lider flatterten. Zara, die ihren Kopf im Schoß hielt, strich ihr sanft über die Wange. »Wach auf, liebste Schwester«, wisperte sie. »Die Dunkelheit ist fort und Eden ist wieder bei uns.«
» Tot liegen alle und bleic h … in der Dämmerung finsterem Reich «, murmelte Sancha wie aus der Ferne, » … einsam und ohne Tros t … von eisigen Stürmen umtos t … den Tapferen wie den Schwache n … keine Tränen, kein Grab, keine Totenwache n … «
»Was redet sie da?«, fragte Tania verblüfft.
»Ich weiß nicht«, sagte Zara.
»Nein! Nein! Nein!«, schrie Sancha plötzlich, die Augen weit aufgerissen und wild mit den Armen rudernd. »Ich sehe sie über die verkohlten Hügel davonreite n … Sie winken mir z u … ich muss ihnen folge n … ich mus s …«
»Still, Sancha«, befahl Eden ihr.
Sancha fiel auf ihr Bett zurück, den Kopf wieder in Zaras Schoß. Ihre Augen waren offen, aber es lag kein Erkennen darin.
»Hilf ihr auf«, sagte Eden zu Edric. »Vielleicht kann sie schon stehen. Sobald sie wieder gehen kann, müsst ihr sie von hier wegbringen. Ich bleibe im Palast, um den Wandlungszauber zu erproben, doch sorgt euch nich t – ich folge euch in den Wald, sobald ich kann.«
»Nein, das kommt nicht infrage«, protestierte Tania. »Ich lass dich nicht allein hier. Die anderen sollen Sancha wegbringen, aber ich bleibe. Kannst du den Zauber für uns beide machen?«
»Gewiss«, sagte Eden. »Doch du musst wissen, die Gefahr, entdeckt zu werden, ist keineswegs gering.«
»Genau deshalb bleibe ich«, erklärte Tania. »Damit ich dir Rückendeckung geben kann.«
»Dann bleibe ich auch«, sagte Edric sofort.
Doch Tania wehrte ab. »Nein, du musst Zara helfen, Sancha in den Wald zurückzubringen«, sagte sie.
Edric nahm ihre Hand. »Versprich mir, dass du vorsichtig bist.«
Tania nickte. »Ja, klar«, sagte sie und strich ihm über die Wange. »Und du pass auch gut auf dich auf, okay?«
»Mögen die Glücksgeister uns alle begleiten«, unterbrach Eden sie barsch. »Und jetzt macht Euch auf den Weg, Master Chanticleer. Bringt Sancha in Sicherheit.«
Zara und Edric zogen Sancha hoch und nahmen sie in die Mitte.
In der Tür drehte sich Zara noch einmal zu Tania und Eden um.
»Wir erwarten euch«, sagte sie. »Wenn ihr nicht bei uns seid, bis die Sonne im Zenit steht, so hält uns nichts mehr im Wald, und wir werden mit unseren Schwertern über den Feind herfallen, dass ihm Hören und Sehen vergeht.«
Dann waren sie verschwunden und Tania blieb allein mit Eden zurück. »Und?«, fragte sie erwartungsvoll. »Was passiert jetzt?«
Eden senkte den Kopf, schloss die Augen und drückte zwei Finger gegen ihre Nasenwurzel. In dieser Stellung verharrte sie lange Zeit.
Schließlich brach Tania das Schweigen. »Eden? Was ist mit dir?«
Eden schlug ihre leuchtend blauen Augen auf. »Ich spüre ihn«, sagte sie triumphierend. »Er ist in der Großen Halle und viele Ritter sind um ihn. Komm, ich bringe dich an einen Ort, wo ich den Zauber ohne Angst vor Entdeckung bewirken kann.«
»Und was passiert dann?«, fragte Tania, die hinter ihrer Schwester durch den Gang lief.
Eden blickte sich um und ein fremdartiges Licht schimmerte in ihren Augen. »Du wirst schon sehen«, erwiderte sie. »Es ist sehr seltsa m … überaus merkwürdig.«
IV
T ania kauerte geduckt im Halbdunkel unter den niedrigen Dachbalken. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an das spärliche Licht, das durch die Ritzen zwischen den Dachziegeln
Weitere Kostenlose Bücher