Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Schwester

Die dunkle Schwester

Titel: Die dunkle Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
Vom Netzwerk:
gezüchtet, schwarzen Bernstein aufzuspüren. Der Hexenkönig glaubt, er könne mit ihrer Hilfe die Mine von Tasha Dul finden.«
    Tasha Dul war das sagenumwobene Bergwerk, in welchem der kostbare schwarze Bernstein abgebaut wurde, der einzige Schutz gegen das tödliche Isenmort. Der Hexenkönig war besessen von dem Gedanken, seine Kriegerhorden mit schwarzem Bernstein auszurüsten und in die Welt der Sterblichen einzuschleusen. Dann war nichts und niemand mehr vor ihm sicher.
    »Komm«, sagte Eden. »Wir müssen in Deckung bleiben, sonst sehen sie uns und zertrampeln uns mit ihren Stiefeln.«
    »Ich folge dir wie ein Schatten«, versprach Tania.
    Eden huschte davon, immer dicht an der Wand entlang, bis sie zu einem Tisch kamen. Dort unten, im Halbdunkel verborgen, hielten sie einen Moment inne. Allmählich gewöhnte sich Tania an ihre Umgebun g – an den Lärm und die Gerüche, die gewaltigen Dimensionen. Doch als sie unter dem Tisch hervorspähte, stockte ihr der Atem vor Entsetzen.
    Die wunderschönen Wandteppiche der Banketthalle waren heruntergerissen und durch Schmierereien ersetzt worden: blutrote Streifen und primitive Darstellungen von eingerollten oder aufgerichteten Schlangen. Ein Übelkeit erregender Blutgeruch hing in der Luft. Die Grauen Ritter saßen an langen, mit Speisen und Getränken beladenen Tischen. Der Boden ringsum starrte vor Dreck und war mit Essensresten, Knochen und Fleischbrocken übersät, die unter den Stiefelabsätzen der finstren Gesellen zertreten oder von den Hunden zernagt wurden. Alles war halb verwest und stank wie die Pest.
    Auf einer langen, vollgehäuften Fleischplatte thronte der Kopf eines Einhorns, und Tania erkannte schaudernd das anmutige kleine Tier wieder, das in Cordelias Menagerie gelebt hatte. Die schönen violetten Augen blickten jetzt starr und leblos, die weiche hellblaue Mähne war blutverklebt. Und das kleine Einhorn war bei Weitem nicht der einzige Menageriebewohner, dessen Überreste gebraten und gekocht auf dem Tisch gelandet waren.
    Aber es kam noch schlimmer. Als das Gedränge am anderen Ende des Raums sich kurzzeitig lichtete, erspähte Tania eine Gruppe von Elfen, die in Isenmort-Ketten gelegt waren. Ihre Schmerzenslaute gingen im Lärm des Gelages unter. Sie waren so kraftlos, dass sie nur noch teilnahmslos in ihren Ketten hingen, vom tödlichen Gift Isenmorts verbrannt. Manche waren vollkommen verstummt, die Beine waren unter dem Körper eingeknickt, die Köpfe gesenkt.
    Bald erkannte Tania, dass noch mehr Elfenvolk in der Halle weilte, zwar ohne Ketten, aber dennoch gefangen. Mit leeren Augen gingen die feinen Gestalten zwischen den Tischen umher und bedienten die grölenden Ritterhorden. Alle wirkten sehr mitgenommen, viele waren verletzt, und ihre einst so prächtigen Gewänder hingen ihnen in Fetzen um den Leib. Wann immer sie mit ihren Krügen und Schüsseln an einem der Ungeheuer vorbeimussten, wurden sie geschlagen und bespuckt.
    Am anderen Ende der Halle, auf dem Podest, auf dem noch die Thronsessel des Königspaares standen, wachte eine finstere Gestalt mit halb geschlossenen Lidern über das Gelage.
    Das konnte nur der Hexenkönig sein. Er saß zur Seite geneigt, einen Ellbogen auf der Sessellehne, sein langes schmales Kinn in die Hände gestützt. Ein dunkelroter, ledrig glänzender Umhang hüllte seine knochige Gestalt ein. Das hagere Gesicht mit den tief in den Höhlen liegenden Augen glich einem Totenschädel und war von dünnen grauen Haarzotteln eingerahmt, die ihm bis über die Schultern fielen.
    Neben ihm saß eine zweite Gestalt in einem prächtigen Samtkleid, das Tanias Rattenaugen als dunkelblau wahrnahmen, obwohl sie es sofort erkannte und wusste, dass es in Wahrheit scharlachrot war. Der Schmerz raubte ihr fast den Atem, und ihr kleiner Rattenkörper zitterte, als sie in das blasse, ausdruckslose Gesicht ihrer Schwester Rathina blickte. Die Prinzessin saß steif auf Titanias Thron, ihre Hände um die Sessellehnen gekrallt, ihr schwarzes Haar hing ihr wirr ums Gesicht.
    »Verräterin!«, stieß Eden hervor, die neben Tania kauerte. »Welch abgrundtiefe Bosheit! Wie konnte sie uns so etwas antun, sag mir, wie?«
    Tania brachte vor Entsetzen kein Wort heraus. Eden hatte Recht: Wie hatte es nur so weit kommen können? Rathina hasste sie, weil sie ihr die Schuld an Gabriel Drakes Verbannung gab, das wusste Tania. Aber dass sie nicht einmal davor zurückschreckte, ihre ganze Familie, ja das gesamte Elfenreich zu zerstöre n – das ging

Weitere Kostenlose Bücher