Die dunkle Seite der Dinge
auf.
„ Ich bin Ärztin“,
sagte sie.
Er hatte sich also nicht geirrt.
Die Frau war gebildet, auch wenn sie in ihrem ganzen Auftreten eher
unkonventionell, ja beinahe rebellisch daherkam. Einen Moment war er
versucht, ihr zu widersprechen, doch dann besann er sich. Er war müde
und er wollte nur noch schnell nach Hause.
„ Ich muss allerdings
zugeben, dass ich dir gegenüber doch ein wenig unhöflich
gewesen bin“, gestand die Frau. Sie streckte ihre Hand aus, die
der Kommissar automatisch ergriff. „Ich bin Franziska.
Franziska Stein, aber wie du dir denken kannst, reicht Franziska
vollkommen aus.“
Wellinger betrachtete sie
eingehend. „Frau Doktor Stein“, sagte er schließlich.
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln
huschte über das Gesicht der Ärztin.
„ Soweit ich verstanden
habe, sind Sie um einen gewissen Mike besorgt. Warum glauben Sie, ist
dieser Mann in Bedrängnis?“
Sofort wurde ihr Gesicht wieder
ernst. „Ich mache mir Sorgen, weil er seit drei Tagen
verschwunden ist und ich, obwohl ich alles versucht habe, ihn weder
am Telefon, noch zu Hause erreichen kann.“
Pflichtbewusst lauschte der
Kommissar ihren Worten. Beunruhigt war er nicht. Fälle dieser
Art häuften sich in den letzten Jahren. Männer tauchten für
eine unbestimmte Zeit unter und die verlassenen Frauen litten
Höllenqualen.
„ Ich weiß, was du
jetzt denkst.“ Die Ärztin schaute ihn herausfordernd an.
„ Ach ja? Was denke ich
denn?“
„ Du denkst, dass Mike nur
für eine Weile verschwunden ist, um sich zu amüsieren oder
um einen klaren Kopf zu bekommen, aber so ist es nicht. Er wollte
mich treffen. Immerhin brauchte er meinen Rat, denn er war einer sehr
heißen Sache auf der Spur.“
Wellinger kratzte sich am Ohr. Er
fühlte sich wie ein kleiner Schuljunge, der bei etwas Verbotenem
ertappt worden war, doch dann schüttelte er den Kopf. „Frau
Doktor Stein, ich werde aus Ihren Erklärungen nicht schlau. Wenn
Sie davon überzeugt sind, dass diesem Mike etwas zugestoßen
ist, dann sollten Sie sich schon die Mühe geben, mir die ganze
Geschichte zu erzählen. In welchem Verhältnis stehen Sie
eigentlich zu diesem Mann?“
Betroffen sah sie ihn an. „Tut
mir leid“, stammelte sie. „Ich sorge mich wirklich sehr.
Das muss alles sehr konfus auf dich wirken. Mike ist mein Bruder.“
Umgehend horchte Wellinger auf.
Er hatte damit gerechnet, nach einem verschollenen Liebhaber oder
Ehemann fahnden. „Also, ich bin ganz Ohr“, nickte er ihr
zu.
Die Ärztin ließ sich
nicht lange bitten. „Mike und ich sind Zwillinge und wir sind
immer füreinander da. So war es von Anfang an. Ich kann es mir
gar nicht anders vorstellen.“
Im Geiste sah Wellinger einen
attraktiven Mann vor sich, der den Frauen den Kopf verdrehte. Für
ihn war die Sache klar. Gelassen lehnte er sich in seinen Stuhl
zurück, während er den weiteren Ausführungen der
Ärztin lauschte.
„ Vor drei Tagen rief Mike
mich an. Er sei einer Riesensauerei auf der Spur. Mein Bruder ist
Journalist, musst du wissen.“
Na bitte! Ein Journalist also!
Und dann auch noch gutaussehend. Wellinger hatte im Laufe der Jahre
genug Vertreter der schreibenden Zunft kennengelernt. Er brachte
einiges mit ihnen in Verbindung, aber Zuverlässigkeit gehörte
ganz bestimmt nicht dazu. Sein Schreibtischstuhl knarzte, als er noch
mehr darin versank.
„ Nein, auf Mike ist
hundertprozentig Verlass!“
Der Kommissar zuckte zusammen. Er
hatte nichts gesagt und doch las die Frau in ihm, wie in einem
offenen Buch. Leicht beschämt nickte er ihr zu, aber die Geste
spiegelte nicht seine innere Überzeugung wider. „Welcher
Sauerei ist er denn auf der Spur?“, lenkte er ein. In Gedanken
saß er jedoch bereits zu Hause in seinem Lieblingssessel.
„ Ich habe keine Ahnung.“
Franziskas Stimme zitterte nun leicht. „Er sagte, er müsse
sich unbedingt mit mir treffen, um mir Papiere und Protokolle zu
zeigen, die ich ihm näher erklären sollte. Mike hatte die
Hoffnung, dass ich als Ärztin die Inhalte entschlüsseln
könnte.“
„ Um welche Unterlagen
handelt es sich denn?“
„ Das weiß ich eben
nicht. Mein Bruder tat sehr geheimnisvoll. Gleichzeitig war er voller
Enthusiasmus. Er war davon überzeugt, der Story seines Lebens
auf der Spur zu sein.“
„ Frau Doktor Stein, ich
werde aus dem, was Sie mir berichten, immer noch nicht schlau. Wie
kommen Sie zu der Annahme, dass Ihrem Bruder etwas zugestoßen
sein muss?“
„ Aber das liegt doch auf
der Hand!“, rief die
Weitere Kostenlose Bücher