Die dunkle Seite
Der Herr im Haus heult nicht. Alles war meine Schuld, weil ich eigene Freunde hatte, eigene Pläne, eigene Ziele, Wünsche und Vorstellungen, einen eigenen Kopf, alles gegen ihn gerichtet.
Es heißt, prügelnde Männer seien das Resultat der Wohlstandsspirale. Druck von oben nach unten, und ganz unten ist eben zu Hause. Ich glaube eher, Prügeln ist ein persönliches Problem. Es gibt in jeder Gesellschaft, ob archaisch oder industriell, christlich, moslemisch oder buddhistisch, Männer, die sich in der Gleichberechtigung unterlegen fühlen. Ihr Lebensinhalt besteht in Dominanz. Was darstellen in den Augen anderer. Das hat mit Wohlstand nichts zu tun, sondern mit den Werten und Hierarchien, die eine Gesellschaft postuliert. Und die Polizei ist verdammt hierarchisch. Da wie beim Militär nähen sie dir als Mann das Selbstbewußtsein auf die Schulter und heften es dir an die Brust, weil du so schön Jawohl sagen kannst. Selbst der kleinste Arsch hat noch jemanden, den er anbrüllen kann. Und der allerkleinste Arsch brüllt zu Hause.
Das Schlimme ist, daß du irgendwann den Horizont verlierst. Er prügelt, aber er bringt dich dazu, zu glauben, er sei im Recht, und es sei deine Schuld, daß es eine Scheißehe ist. Er sagt, du mußt dich ändern, dann wird alles wieder gut. Wenn ich glaubte, erkannt zu haben, was Karl störte, stellte ich es ab. Ich traf mich nicht mehr mit den Freunden, die er haßte, ging kaum noch alleine weg, äußerte bestimmte Meinungen so lange nicht mehr, bis ich selber davon überzeugt war, sie seien falsch. Irgendwann hatte er mich so weit, daß ich nicht wagte, im Restaurant zu bestellen, aus Angst, der Kellner könnte mich anlächeln. Ich schminkte mich nicht mehr. Ich lief in Sack und Asche durch die Gegend.
Einfach aufbegehren?
Sicher, anfangs denkst du darüber nach. Du setzt deinen Kopf durch und riskierst die Prügel, die du ohnehin bekommen würdest, aber seltsamerweise bleiben sie aus. Statt dessen spricht er nicht mit dir. Tagelang. Sprachlosigkeit ist das Grausamste, was man einem Menschen antun kann. Grün und blau um die Augen flehst du ihn schließlich an, endlich den Mund aufzumachen, dich in den Arm zu nehmen. Du gibst alles zu. Ja, ich bin schuld! Ja, du hast recht! Du hast in allem recht! Ich werde mich ändern. Bitte sprich mit mir, ich werde mich ändern, bitte sprich mit mir, bitte! Alles bist du bereit zu tun oder zu lassen, je nachdem, wie er es will, um nicht öffentlich bekennen zu müssen, wie dein Leben aussieht.
Ich dachte, ich kann ihn ändern, wenn ich mich selber ändere. Ich machte mich für alles verantwortlich und fühlte mich für alles schuldig. Wenn er Ärger im Job hatte, fühlte ich mich schuldig.
Wenn er vergaß, mir zum Geburtstag zu gratulieren, fühlte ich mich schuldig. Wenn er mich anschrie, ich treibe es hinter seinem Rücken mit Türken und Farbigen, fühlte ich mich schuldig. Wenn ich das Rohypnol entdeckte, das er angeblich nicht mehr nahm, fühlte ich mich schuldig. Er hatte es als Kind nicht leicht gehabt. Ich fühlte mich schuldig. Wegen Eva mußte Adam aus dem Paradies. Ich fühlte mich schuldig. Schuldig und wert, bestraft zu werden.
Ich schrumpfte auf einen Punkt.
Mein stolzer und angesehener Kämpfer für Gerechtigkeit war ein solches Waschweib, daß er alleine meine Existenz schon als Bedrohung empfand. Eine Psychologin, die später in meinem Prozeß aussagte, meinte zu mir, ich hätte ihm ein einziges Mal befehlen sollen, sich niederzuknien, ihm die Hochhackigen ins Gesicht drücken und sagen sollen: »Leck!« Er wäre zusammengebrochen, eine devote kleine Null, ohne Befehl außerstande, sich alleine den Arsch abzuwischen. Alle, die Frauen schlagen, sind im Grunde solche Nullen.
Aber den Zeitpunkt hatte ich verpaßt.
Meinen Job hatte ich längst aufgegeben. Es nützte nichts. Mehrfach war ich im Krankenhaus, um das Märchen von der steilen Kellertreppe zu erzählen. Karl sagte, wenn du ein Wort sagst, breche ich dir die Knochen. Ich sagte nichts, und er brach sie mir trotzdem. Er nahm sein Rohypnol und prügelte mich halb besinnungslos. Er schaffte es, auf mir zu sitzen und eine Zigarette auf meinem Hinterteil auszudrücken, damit ich lernte, wie ich ihn zu respektieren habe.
Er schaffte es, daß ich unsere Ehe für eine ganz normale Ehe hielt.
Eines Tages gelang es mir, ihm zu entwischen. Ich traf Roth und erzählte ihm von allem. Roth redete drei Stunden auf mich ein, dann wußte er, daß ich mich vorerst nicht umbringen
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