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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Nacheinander zündete sie die Kerzen an, bis das Wohnzimmer in warmem Licht erstrahlte, sprang zwischen den Leuchtern umher wie ein Kind und genoß es, ihn teilhaben zu lassen.
    »Deine Geheimnisse gegen meine«, rief sie.
    Er lachte leise.
    »Was möchtest du wissen?«
    Sie schüttelte den Kopf und legte sich so vor ihn hin, daß ihre Gesichter einander zugewandt waren.
    »Nichts.«
    »Keine Geheimnisse?«
    »Ich möchte was wissen, aber nichts hören. Ich will was erzählen, aber nichts sagen. Geht das?«
    Er sah in sein Glas.
    »Ja«, sagte er. »Ich glaube schon.«
    Es ist eine seltsame Logik in den Dingen. Seltsam und beängstigend.
    Nachdem wir miteinander geschlafen haben, dachte Vera, muß es nun wohl heißen, gib mir deine Geschichte. Erzähl mir. Wie ist dein Leben? Was tust du? Wer bist du? Wir haben uns das Recht ervö gelt, ineinander zu blicken.
    Wir haben ein Anrecht.
    Absurd!
    Was mochte Leute in den Glauben versetzen, die Einführung des männlichen Glieds in die weibliche Scheide verschaffe einer der beteiligten Personen irgendein Anrecht ? Und wenn die anschlie ßende Wärme der Umarmung und der Wunsch nach fortdauernder
    Nähe einander noch so nahebringen mochten, wer sagte, daß immer gleich die Karten auf den Tisch gelegt werden mußten? Wir haben einander angezogen und ausgezogen, warum sollen wir uns noch das Fleisch von den Knochen reißen und offenlegen, was sich nur von selber öffnen kann?
    Sie hätte ihn fragen können. Sag mir, wie hast du gelebt in den letzten Jahren. Gib mir dieses Leben. Ich weiß so wenig über dich.
    Aber sie wußte, was seine Hände taten.
    Sie wußte, wie er sie ansah.
    Sie wußte, wie er eine Flasche entkorkte und zwei Gläser füllte, langsam und mit Bedacht, ohne zu zittern, etwa dreiviertelvoll und beide exakt in gleicher Höhe, und wie er beobachtete, was er tat, und es für wert befand, alles daran genau in Augenschein zu nehmen.
    Wozu reden?
    Wir breiten Worte voreinander aus wie Fotografien, um die Landschaft unserer Seele zu beschreiben. Und wie Fotos enttäuschen sie uns. Die Schlucht, die so unspektakulär erscheint und doch in Wirklichkeit so tief abfällt. Das Panorama, nicht annähernd so gewaltig, als stünde man in eigener Person davor. Alles verflacht, wird bunt, geschwätzig und beliebig, aus dem Zusammenhang gerissen. Wir führen einen Machtkampf der Offenbarungen, peinlich darauf bedacht, daß keiner mehr preisgibt als der andere, im Glauben, dem anderen auf diese Weise näherzukommen, wir ihm, nicht er uns.
    Wir reden und reden und entfernen uns mit jedem Wort ein Stückchen weiter weg von dem, was wir ausdrücken wollen.
    Bathge hätte sie fragen können.
    Deine Geheimnisse gegen meine. Deine Geschichte, Vera. Du bist dran.
    Sie lauschte seinen Atemzügen und reckte sich, als könne sie ihre Gliedmaßen endlos strecken.
    Meine Geheimnisse.
    Ich habe geheiratet irgendwann. Das ist kein Geheimnis. Ich habe nie geglaubt, daß es in meinem Leben Geheimnisse geben wird.
    Einen Polizisten. Du kommst nicht weiter als bis zur nächsten silbernen Knopfreihe, wenn du darauf Tag und Nacht deine Arbeit machst und sie in einem Polizeipräsidium stattfindet. Zwischen abgewetzten Möbeln und von Neon beleuchtet wird alles entweder häßlicher oder schöner, und Karl wurde eben schöner mit jedem Mal. Er schleppte Fusseln und Haare an. Wir untersuchten nicht alles im Waidmarkt, das meiste schickten wir raus, aber die Polizei in Köln hat ihre eigenen Spurensucher. Nachdem ich gelernt hatte, was das berühmte Schwarze unterm Fingernagel über einen Mord aussagen kann, ließen sie mich endlich an die Tatorte. Männer sind nicht wirklich der Meinung, daß Frauen weniger können. Sie wissen bloß nicht, was für sie bleibt, wenn wir in allem genauso gut sind wie sie, also halten sie uns an der langen Leine, und alles dauert etwas länger.
    Ich habe Roth gesagt, ohne ihn wäre ich nichts. Das funktionierte.
    Es war ungerecht ihm gegenüber, er war tatsächlich gut zu mir.
    Aber er war auch mein Vorgesetzter, und es hat gewirkt. Männer akzeptieren starke und erfolgreiche Frauen, wenn nach außen klar ist, daß sie ihnen alles zu verdanken haben.
    Ich habe so etwas wie Karriere gemacht und kam raus an die Front. Man stochert in unschönen Sachen rum, in dem, was von Menschen geblieben ist. Haare. Fasern. Winzige Hautfetzen. Mein Leben lang habe ich Ohnmacht verspürt beim Gedanken, daß eine einzige Zelle dieser Fetzchen den kompletten genetischen Code birgt von

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