Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
würde.
    Dann...
    Als ich an diesem Tag nach Hause komme, ist Karl schon da. Er sitzt demonstrativ vor dem leeren Küchentisch und fragt leise, wo das Abendessen ist. Ganz leise und beherrscht. Ich sehe ihn an und sage: Siehst du es irgendwo?
    Im nächsten Moment knalle ich gegen die Tür. Er schleudert mich zu Boden und schlägt meinen Kopf auf die Fliesen. Dann packt er mich und zerrt mich zum Kühlschrank, reißt die Tür auf und drückt meinen Kopf ins Innere.
    Siehst du es? schreit er. Siehst du es?
    Mittlerweile blute ich von der Stirn. Ich versuche, mich irgendwo festzuhalten, ich weiß nicht, was nach all den Jahren und den unzähligen Erniedrigungen plötzlich den Ausschlag gibt, aber als ich wieder zum Vorschein komme, halte ich eine Flasche in der Hand und schmettere sie in sein Gesicht.
    Karl ist völlig verblüfft. Ich wohl noch mehr als er. Der Impuls drängt hoch, um Entschuldigung zu flehen, in die hinterste Ecke zu kriechen und bereitwillig in Kauf zu nehmen, daß er mich jetzt totschlagen und mein nichtswürdiges, kleines, schuldiges Leben beenden wird. Ich weiß, daß er mich töten wird. Ich sehe die grenzenlose Verwunderung in seinen Zügen und dann, wie sich sein Gesicht zur Fratze verzerrt, wie er die Faust ballt und diese Faust wie ein Geschoß heranfliegt.
    Nein.
    Ich ziehe ihm die Flasche ein zweites Mal über. Sie zerbricht.
    Diesmal geht er in die Knie. Er kriecht auf dem Küchenboden rum und sabbert und blutet ihn voll. Ich trete zu und sehe ihn zur Seite kippen.
    Ich werde, was er ist.
    Am Ende rührt er sich nicht mehr. Er liegt auf seinem Gesicht und scheint nicht mal mehr zu atmen. Ich setze mich neben ihn und trinke ein Glas Milch. Dann rufe ich Roth an. Er kommt mich holen.
    Ich will weinen, aber ich starre nur dumpf aus dem Wagenfenster und sehe den Notärzten zu, wie sie die Bahre mit Karl hinten reinschieben und losbrausen.
    Karl ist ein zäher Brocken. Ich habe ihm den Schädel und den Kiefer und ein paar Rippen gebrochen, aber er übersteht auch das. Seelisch habe ich ihn kleingekriegt. Ich habe ihn zum Wimmern und er mich zum Verstummen gebracht.
    Für Jahre.
    Eine Zeitlang wohne ich bei Tom Roth und seiner Frau Marga. Wir wissen nicht, was Karl tun wird, wenn sie ihn aus dem Krankenhaus entlassen, ob er versuchen wird, mich zu töten, aber er tut gar nichts. Es gibt eine Anzeige wegen Körperverletzung und einen Prozeß, den ich in allen Punkten gewinne. Karl wird vor Gericht demontiert, zerkleinert und zerfetzt, daß ich in den Pausen raus und mich übergeben muß aus Ekel vor dem Haufen Protoplasma, der mein Mann gewesen ist.
    Meine Anwältin fragt, ob ich Karl hätte töten können. Ich sage ja.
    Ich sage auch heute noch ja. Sie rät mir, vor Gericht bloß meine Klappe zu halten.
    Ich halte sie.
    Man spricht mir einen Haufen Geld zu. Schmerzensgeld. Ich heiße wieder Gemini nach meinem Vater, Diplomat in Rom, und seiner deutschen, sehr vornehmen Frau, deren zwei andere Kinder Dr.
    und Dr. Dr. geworden sind. Sie freuen sich, von mir zu hören und wundern sich über den Prozeß. Sie haben gar nichts mitgekriegt.
    Schwarze Schafe hört man nicht gern blöken.
    Ich habe Geld für die DeTechtei...
    »Vera.«
    Sie öffnete die Augen und sah Bathge über sich gebeugt.
    »Mhm?«
    »Nichts.«
    Er lächelte und küßte sie.
    Hätte ich es dir erzählen sollen, Simon? Aber wozu die Welt mit noch mehr Worten dekorieren? Worte können Schläge sein, aber sie können Schläge nicht beschreiben.
    Du hast mich nicht gefragt. Nach allem, was du mir über meine Bilder erzählt hast, bin ich dankbar, daß du nicht gefragt hast, obwohl du weißt, daß nichts in Ordnung ist.
    Irgendwann vielleicht.
    Wert ist nur, was man erzählt. Nicht, was erfragt wird.
    Sie lächelte zurück, spitzte die Lippen und sagte: »Blubb.«
    Er hob die Brauen.
    Vera kicherte und rollte sich in ihm zusammen.
    Laß uns tief unten, tief unter Wasser bleiben, solange wir Luft haben. Lieber in Eintracht verstummen, als uns an der Oberfläche zu verlieren.

Samstag, 28. August

8.10 Uhr. Vera
    Sie saß inmitten der Kerzen und war glücklich.
    Plötzlich spürte sie etwas auf ihrer Schulter. Es kitzelte sie und krabbelte über sie hinweg. Erschrocken schlug sie mit der Hand danach.
    Zu ihrer Verblüffung war es Sand.
    Er kam von oben in dünnen Bächen und erstickte das Licht der kleinen tanzenden Flammen. Hastig erhob sie sich und versuchte, die Kerzen wieder anzuzünden, aber je mehr sie sich abmühte, desto dichter

Weitere Kostenlose Bücher