Die dunkle Seite
sich so was Ähnliches gedacht. Er meinte, augenblicklich könnten einige Zeitgenossen auf die Idee verfallen, ihn finden zu wollen. Aber daß sie so schnell sind...«
»Wer sind sie?«
»Ein paar Leute, deren Motive ziemlich ... egal. Eine Detektivin, sagen Sie? Dafür hat sie sich ausgegeben?«
»Ja.« Nicoles Zweifel zerstoben. Sie fühlte ihr Herz heftig schlagen.
Das hier war wie in einem Krimi.
»Ein Grund mehr, mit Andreas zu sprechen«, sagte Marcel entschlossen. Er machte ein besorgtes Gesicht. »Sie müssen ihm unbedingt davon erzählen. Werden Sie das tun?«
»Wann?«
»Jetzt, wenn Sie wollen. Wir können rübergehen, ich stehe vor dem italienischen Restaurant.« Sein Finger wies auf die andere Stra‐
ßenseite. »Der Wagen in der zweiten Reihe, sehen Sie ihn?«
»Ja.« Nicole zögerte. Sie zog die beiden Geldscheine ein Stück aus dem Umschlag und steckte sie wieder hinein.
»Ist Andi wirklich reich geworden?«
»Reich wäre übertrieben. Aber es geht ihm gut.«
»Okay!« Sie nahm den Rucksack, den sie zwischen ihre Füße gestellt hatte, stopfte den Brief hinein und zog ihr Portemonnaie hervor. »Warten Sie einen Moment.«
Sie zahlte an der Theke. Als sie hinaus auf die Straße trat, war Marcel verschwunden. Verwundert blickte sie sich um und hörte ihn plötzlich rufen. Er stand neben dem Wagen und hatte die Fahrertür geöffnet.
»Kommen Sie.«
Nicole hastete über die Straße.
»Hier. Bitte.«
Er schob sie sanft auf den Fahrersitz. Einen Moment lang versteifte sie sich, dann ließ sie es geschehen und nahm Platz. Was sollte ihr schon passieren? Sie saß hinterm Steuer. Er konnte nicht einfach mit ihr durchbrennen.
»Das Telefon ist neben der Konsole, Sie können es aus der Halterung lösen, indem Sie rechts und links dagegendrücken, ich sage Ihnen dann die Nummer. Sehen Sie, es geht ganz einfach, nämlich so.«
Er machte eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. Nicole versuchte es, aber der Hörer wollte sich nicht lösen. Vielleicht hatte sie nicht die richtige Stelle gefunden. Sie probierte es ein zweites Mal, ohne auf das Geräusch der Türe hinter sich zu achten.
Plötzlich spürte sie etwas Kaltes im Nacken.
»Nicht schreien, nicht rausspringen, nicht wehren«, sagte der Mann, der sich Marcel genannt hatte, leise. »Jeder Versuch würde schiefgehen und dazu führen, daß ich dich töten muß. Hast du verstanden?«
Nicole merkte, wie alles Blut aus ihrem Kopf wich.
Nicht ich, dachte sie. Bitte, lieber Gott, nicht ich.
»Du wirst die Tür zumachen«, befahl er. »Der Zündschlüssel steckt. Fahr einfach los und folge meinen Anweisungen, dann wird dir nichts geschehen. Hast du das begriffen?«
Sie stieß ein kaum hörbares Wimmern aus.
»Ganz ruhig, Nicole. Du mußt dir keine Sorgen machen. Nicht, daß du vor lauter Nervosität gegen den nächsten Baum fährst. Auch dann müßte ich dich töten. Offen gesagt, du wärst auch tot ganz nützlich, also fordere es nicht heraus. Noch mal: Hast du alles begriffen?«
»Ja.«
»Gut. Und du wirst tun, was ich sage?«
»J ... ja.«
»Das ist fein«, sagte er väterlich. »Folgsame Mädchen werden belohnt. Ich habe eine Überraschung für dich, Nicole. Du wirst deinen Bruder sehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach schon sehr bald. Ist das nicht wunderbar?«
»Wer sind Sie?« wisperte Nicole.
»Ich komm von weit, von weit, weit her«, sang er leise in ihr Ohr, daß sie seinen Atem spüren konnte. »Von Kuwait ward mir der Weg so schwer ... Fahr los.«
14.00 Uhr. Vera
Der Fall im Frankenforst war gelöst. Ausnahmsweise hatten sich sämtliche Vorurteile bestätigt. Es war tatsächlich der militante Nachbar gewesen, der mehrfach in das Detektorenlabor eingebrochen und die Gerätschaften sabotiert hatte. Nachdem der Hund des Firmenchefs draußen geblieben war, zeigten ihn die Kameras auf allen drei Monitoren.
Vera war kurz hingefahren und hatte ihren Scheck kassiert. Der Ausgang war gut fürs Geschäft und ließ ihr mehr Zeit, sich um Bathges Problem zu kümmern.
Vorerst hieß dieses Problem Jens Lubold.
Sie wußte, daß sie der Lösung des Falles um so näher rücken würde, je mehr sie über Lubold herausfand. Bis jetzt setzte sich seine Persönlichkeit aus Fragmenten zusammen. Ein bißchen hatte sie von Solwegyn erfahren, Bathge hatte verschiedenes beigesteuert.
Daraus ergab sich der geisterhafte Schatten eines Monstrums, kein Mensch. Immer noch fehlte die wahre Persönlichkeit, fehlte vor allem das Motiv.
Sie rief ihren
Weitere Kostenlose Bücher