Die dunkle Seite
nickte, wie um ihre Worte zu bestätigen.
»Ja. Er wird sich die Zähne ausbeißen!«
Sieh dich vor, Lubold, Sandgespenst. Auch wenn du einen Kubikzentimeter Angst auf zweiunddreißig Bodenseen wittern kannst.
Ich bin ein Kotzbrocken.
Ich bin unverdaulich.
Friß mich, und ich fresse dich von innen.
18.03 Uhr. Menemenci
Während er durch die Schwemme des Brauhauses nach hinten ging, wo der Weg hinaus in den Biergarten führte, dachte Menemenci ernsthaft darüber nach, sich eine Krankenschwester zuzulegen. Sie würde sich um seinen Bauch kümmern und zuhören. Mit wem sonst hätte er seine Erfahrungen teilen können? Jemand, der von Berufs wegen an Scheußlichkeiten gewohnt war, wußte um das Grauen, das einen mitunter beschlich, wenn man nichts mehr fühlte, wo man hätte fühlen müssen.
Menemenci kannte Kripoleute, die sich nicht mal ihrem Ehepartner anvertrauten. Viele hätten es gerne getan, aber wie sollten sie ihren Frauen und Männern begreiflich machen, wie Schreie klingen, die man nur nach innen richten kann?
Immerhin tat sich dieses Problem für Menemenci nicht auf. Er war allein. Es gab keine Frau, die sich vergeblich bemüht hätte, ihm beizustehen. Dabei wünschte er sich eine Frau, die sich vergeblich bemühte, ihm beizustehen. Er wünschte sie sich noch mehr, als diesen Irren zu fangen, der Üsker und Solwegyn getötet hatte.
Aber dann hätte er neue Möbel kaufen müssen.
Gutes Argument!
Man mußte eben nur ein bißchen Blattgold auf die Scheiße packen.
Er hielt Ausschau im Schatten des alten Baumes, der über die Durstigen wachte. An einem der kleineren Tische saß mit übereinandergeschlagenen Beinen ein Mann und aß ein winziges Brötchen mit Tatar. Er trug einen dunklen Anzug über einem blütenweißen Hemd. Die Krawatte war dezent gemustert, das schwarze Haar frisiert, als wolle er die Abendnachrichten verlesen. Die jungenhaften Züge mit den andächtig geschlossenen Augen spiegelten höchsten Genuß, als er das Brötchen zur Hälfte in den Mund steckte und abbiß.
Menemenci grinste schief. Er kannte Cüpper seit Jahren und wunderte sich pausenlos, warum er nicht mindestens seine Statur hatte.
Wenn er nicht aß, redete er vom Essen. Wenn er beides nicht tat, war er allerdings ein ausgezeichneter Polizist. So gut, daß Menemenci ihm am Abend zuvor die Akten über Üsker und Solwegyn kopiert und ihn gebeten hatte, seine Meinung dazu abzugeben.
Der Stuhl schürfte laut über den Boden, als er ihn zu sich ranzog.
Sein Gegenüber zuckte zusammen und sprang auf.
»Komiffar!« Cüpper besann sich, schluckte den Tatarbrocken herunter und lächelte herzlich. »Sie sind auf die Minute pünktlich.«
»Ja, sicher. Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben.« Menemenci machte eine Pause und grinste zurück: »Kommissar.«
»Haben Sie gegessen?«
»Noch nicht.«
»Das Tatar ist so frisch, daß es Muh sagt. Es gibt nichts Gesünderes, sieht man von den Salmonellen und dem bißchen Rinderwahnsinn ab. Wollen Sie mal beißen?«
»Danke. Ich brauche was zu trinken.«
»Nehmen Sie meines.« Cüpper stellte das fast volle Glas vor ihn hin. »Den Köbes überholt heute jede Schnecke. Es kann ein bißchen dauern.«
Menemenci trank und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Bilde ich mir das ein, oder ist es seit gestern noch heißer geworden?« Er fächelte sich mit dem Bierdeckel Luft zu. »Ich weiß es nicht mehr. Seit einer Woche komme ich mir vor, als würde ich gebacken.«
»Sie haben recht. Die Hitze ist kriminell. Darf ich fragen, was mit Ihrem Gesicht passiert ist?«
»Der Brand bei Solwegyn.«
»Gute Güte!«
»Macht mir zu schaffen«, knurrte Menemenci. »Als wärʹs nicht so schon schwer genug. Dann auch noch dieses verstockte Weibsbild.«
»Eine Frau? Das ist doch phantastisch!«
»Ja, aber eine, die ich gern verhaften würde.«
»So attraktiv?«
»Nein.«
»Ah. Verstehe.«
Menemenci stürzte das restliche Bier herunter. Sofort brach ihm der Schweiß noch stärker aus.
»Haben Sie mal reingesehen in die Akten?« fragte er.
»Ja.«
»Und?«
»Sie wollen wissen, was ich an Ihrer Stelle täte, mhm?«
Menemenci nickte. »Ich weiß, was ich tun könnte«, sagte er. »Aber es basiert auf Hypothesen. Ich brauche eine zweite Meinung.«
»Gut. Ich habe das Persönlichkeitsprofil gelesen, das Sie erstellt haben.« Cüpper fischte ein Blatt aus einem Stapel Papier, der auf dem freien Stuhl neben ihm lag. »Männlich, psychopathisch, sadophil. Klar. Mit großer
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