Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
alles entscheiden. Du kannst auf einen Knopf drücken und ausschalten.«
    »Nein. Das Programm zappt für dich, Vera. Die Medien entscheiden, was wichtig ist und wie du zu empfinden hast. Sie geben dir die Dauer deiner Erschütterung vor. Wie lange du betroffen zu sein hast. Amüsiert. Genervt. Empört. Gerührt. Du zappst deinerseits dagegen an. Du denkst, es ist Information, aber alles ist Propaganda, die Grenze ist aufgehoben, und alle wollen Propaganda. Krieg ist wieder führbar, haben einundneunzig viele gesagt, weil kein einziger Toter ihre schöne Glotze verunziert hat. Wer redet da von den verbrannten irakischen Soldaten, die von alliierten Lufttruppen plattgemacht wurden, als sie versuchten, aus Kuwait City zu fliehen? Und dazwischen verkaufen sie dir Coca Cola, Autos und Versicherungen und französischen Käse, damit du weißt, daß alle Franzosen ständig ohlala sagen und Mützen mit Zündschnüren tragen, und dann tanzt ein Haufen Degenerierter durch ein Studio und singt Maggi Maggi Pasta Pasta, als seien alle Italiener Deppen. Damit aufgeladen, äußert die Gesellschaft ihre Meinung und begibt sich wieder vor den Fernsehschirm, vors Internet oder in den Cyberspace, um ihren Unverstand zu erweitern. Wollen die einen Lubold stoppen? Sie lassen ihn doch erst entstehen! Sie billigen ihn! Er hat wie alles seinen begrenzten Nachrichtenwert. Man goutiert ihn, gruselt sich und hat ihn schon wieder vergessen. Wundert es dich, daß er machen kann, was er will?«
    Vera sah ihn mit offenem Mund an. Bathge war ungewöhnlich heftig geworden. Er bemerkte ihr Erstaunen, räusperte sich verlegen und verbarg sich hinter einer schnell hervorgestoßenen Rauchwolke.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte ...«
    »Nein, wozu? Dir muß überhaupt nichts leid tun.« Sie runzelte die Stirn. »Bist du sicher, seine Bücher nicht gelesen zu haben?«
    Bathge lachte leise.
    »Halms? Todsicher.«
    »Du klingst genau wie er.«
    »Es ist nicht schwer, so zu klingen. Halm wollte Lubold vernichten. Ich würde Lubold auch sehr gerne vernichten, aber ich kann es nicht.«
    Kryptische Erwiderung, dachte Vera. Weniger als eine Antwort oder mehr?
    Sie sah vor sich hin.
    »Glaubst du«, fragte sie nach einer Weile, »daß Lubold sich für minderwertig hält?«
    Bathge zuckte mit den Schultern.
    »Möglich. Vielleicht ist er aber auch vom Herrn geschickt, um die Menschheit aus ihrem kybernetischen Dornröschenschlaf zu rütteln, indem er zeigt, daß Blut in den Körpern ist und keine Platinen. Ich weiß nicht, Vera.« Er fuhr sich mit beiden Händen über die Augen.
    »Ich weiß es wirklich nicht. Ehrlich gesagt, ich bin ziemlich durcheinander.«
    »Ja«, sagte sie. »Ich auch.«
    Ihre Antwort schien Bathge aus seiner seltsamen Stimmung zu reißen. Er sah sie an, als registriere er erst jetzt, mit wem er eigentlich am Tisch saß. Dann beugte er sich vor und küßte sie sanft auf die Nase.
    »Vergiß den Unsinn, den ich da geredet habe«, sagte er. »Du hast recht. Wir haben eine Wahl.« Er machte eine Pause. »Ich habe möglicherweise auch eine Spur. Mir sind ein paar Namen eingefallen, Mitglieder von ZERO. Münchner, die viel mit Lubold herumgehangen haben. Ich muß ein bißchen telefonieren, vielleicht gelingt es mir, einen von ihnen aufzustöbern nach so vielen Jahren.«
    »Tu das.«
    Er sog den letzten Rest Leben aus seiner Zigarette.
    »Und du? Was wirst du tun?« fragte er.
    »Ich habe ein paar neue Fälle, um die ich mich kümmern muß.
    Viel Arbeit.« Vera bemerkte seine aufziehende Enttäuschung und fügte schnell hinzu: »Und ich kümmere mich weiter um dein ... unser Problem.«
    »Ja, das ist gut.«
    Sie zögerte.
    »Simon?«
    »Schon klar.« Es klang nicht beleidigt. »Du möchtest alleine sein, richtig?«
    »Ich möchte einiges verarbeiten. Mach dir keine Gedanken. Ich muß nur einfach mal Zwiesprache mit mir halten.« Sie lächelte. »Ich war jahrelang alleine. Und plötzlich soll alles anders sein. Du hast schon ganz schön viel bekommen für den Anfang.«
    »Du nicht?«
    »Doch.«
    »Möchtest... du mehr?«
    »Vielleicht«, sagte sie.
    Sie dachte an seine Hände, den Fluß von Energie. Wärme, Zusammenrollen, ein fast pränatales Wohlbefinden. Beschützt von einem schutzbedürftigen Beschützer. »Gut möglich, ja. Aber nicht heute abend. Okay?«

    »Okay.«
    Er schwieg.
    »Lubold kann uns nichts tun«, sagte Vera im Tonfall der Zuversicht. »Wir sind stärker als er. Er wird sich die Zähne an uns ausbei‐
    ßen.«
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher