Die dunkle Seite
Wahrscheinlichkeit paranoid‐schizophren.
Alter dreißig bis vierzig Jahre. Meiner persönlichen Meinung nach ist er eher vierzig, nicht älter als Mitte vierzig. Intelligent, ich würde sogar sagen, hochintelligent. Abitur halte ich für wahrscheinlich.
Was steht hier noch? Gepflegte Erscheinung, angenehmes Äußeres, eher zurückhaltendes Auftreten, wahrscheinlich höflich und kultiviert. Stimmt. Er hat keinen Grund, Leute anzuschreien, wo er sich seinen Opfern gegenüber durch schlechte Manieren ausweisen kann. Ich würde ihm einen kreativen Zug genehmigen, äußerlich, meine ich. Irgendwas mit seiner Frisur, vielleicht ein Bart. So ...
hm... was ist das ? Ah ja, da haben wir es ja – glattrasiert, wenn aber Bart, dann sauber und gestutzt. Ich tippe auf Bart. Wer mit solcher Akribie zu Werke geht, ist eitel, andererseits dürfte er ein Persönlichkeitsproblem haben, die Psychos haben alle eines. Spricht beides für Behaarung. Fährt ein solides Auto mit allem Drum und Dran, Audi oder BMW, stimmt auch. Dunkle Farbe oder silber. Wohnort...«
»Das ist schwierig«, sagte Menemenci. »Er könnte Kölner sein, aber ich glaube eher, er ist erst vor kurzem nach Köln gekommen.«
»Ja, wahrscheinlich. Er dachte, sowohl Üsker als auch Marmann hier zu finden. Beide wohnten hier, bevor sie zur Fremdenlegion gingen, er kannte sie von damals, also ist er mit Sicherheit Kölner.
Aber er dürfte lange weggewesen sein. Ich schätze, er ist ... Augenblick, der erste Mord, dafür mußte er ein paar Recherchen betreiben ... inklusive Vorbereitung ... na, sagen wir, frühestens vor drei Wochen angekommen.«
»Warum nicht eher?«
»Seine Suche scheint sehr dringlich zu sein. Wäre er schon länger in Köln, wäre Üsker auch schon länger tot.«
»Gut. Deckt sich mit meiner Einschätzung.«
»Er wird sich also irgendwo versteckt halten oder unter falschem Namen ... Oh, da kommt Kölsch!«
Sie bestellten eine große Portion Tatar für zwei, gönnten sich einige Minuten Pause, um den schlimmsten Durst zu löschen, und stürzten sich wieder in die Akten.
Diesmal war der Köbes schnell. Wieder wurden sie unterbrochen, aber Menemenci war nicht unglücklich darüber. Er genoß die Gesellschaft des anderen. Cüpper gehörte zu den wenigen Kollegen, die er wirklich schätzte und von denen er bereit war, etwas anzunehmen. Und sei es Tatar auf Röggelchen.
Kauend kehrten sie zur Arbeit zurück.
»So, Geschichtsstunde. Mal sehen ... Überall wird deutlich, daß unser Freund ungewöhnlich kontrolliert und organisiert sein muß.
Wie alle Hyperkontrollierten wird er irgendeine Macke haben, ein Laster, ein Ventil. Saufen, rauchen, rasen. Etwas, das er exzessiv betreibt. Nicht unbedingt spektakulär, aber in irgendeiner Hinsicht ist er zügellos. Thema Sex ...«
»Er ist kein Sexualmörder«, betonte Menemenci. »Wenigstens nicht im klassischen Sinne. Wenn ihm einer abgeht, macht er hinterher jedenfalls sauber.«
»Er tötet Männer. Dann müßte er schwul sein, wenn Sex im Spiel ist. Glaube ich nicht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, tötet er, weil er einen Zweck verfolgt ... Ja, Sie haben recht, da ist kein sexuelles Trauma...«
»Aber eine traumatisierend verlaufene Kindheit. Egal, ob er einen Zweck verfolgt oder nicht, vor allem anderen muß jemand innerlich bereit sein, so was überhaupt zu tun. Was ist ihm also selber widerfahren?«
»Das übliche, würde ich sagen. Dominanter Vater, Mutter quasi nicht vorhanden.«
»Oder umgekehrt.«
»Dann würde er sich an Frauen vergreifen.«
»Stimmt. Einigen wir uns vorläufig auf eine männliche Überperson.«
»Meine ich auch. Der Alte muß ihn ziemlich gestreßt haben.«
»Gequält. Aber auch hier ein Höchstmaß an Kontrolle. So sehr, daß der Mörder sogar seinen Haß in kontrollierte Bahnen lenkt. Er ist ein Künstler. Was die Berichte über Üskers Folterungen sagen, das ist schon sehr beachtlich, sehr kreativ in Szene gesetzt. Hier liegt natürlich der Schlüssel. Um den Künstler zu verstehen ...«
»Müssen wir sein Werk betrachten. Ich betrachte es seit nunmehr einer Woche. Mittlerweile wird mir nicht mal mehr schlecht.«
»Inszeniert er seine Taten?«
»Nein. Er ist kein Inszenierer. Drapiert nichts, ordnet nichts an, kein Firlefanz.«
»Mhm.«
»Ich könnte mir vorstellen«, sagte Menemenci nach einem Augenblick des Nachdenkens, »daß dieser Vater in irgendeiner Behörde gearbeitet hat.«
»Hochrangig?«
»Oh ja.«
»Politiker? Soldat? Diese Clique,
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