Die dunkle Seite
ihre abhanden gekommen war.
Der Fremde wies mit dem Daumen hinter sich.
»Da saß niemand. Wennʹs gerade nicht paßt, ich kann auch noch ein bißchen warten.«
Wo, zum Teufel, war Strunk? Wozu bezahlte sie einen Mitarbeiter?
Warum konnte er nicht Bescheid sagen, wenn er rausging?
»Bitte.« Sie legte den Spiegel vor sich auf die Schreibtischplatte und wies auf einen der Sessel. Er machte keine Anstalten näherzukommen, sondern sagte: »Sie müssen wirklich entschuldigen, aber ...«
»Ich entschuldige ja schon. Setzen Sie sich. Wie kann ich Ihnen helfen?« Sie breitete die Hände aus und hob die Brauen. »Falls ich kann.«
Der Mann lächelte. Er war nicht allzu groß, hatte kastanienbraunes, ziemlich langes Haar und trug einen auf Millimeter gestutzten Vollbart. Er kam zu ihr herüber, setzte sich, schaute sich mit verhaltener Neugierde um. Dann zog er ein Päckchen Zigaretten aus der Innentasche seines Jacketts und hielt es Vera hin.
»Möchten Sie?«
»Nein.«
»Darf ich?«
»Bitte.« Sie schob ihm einen Aschenbecher rüber, lehnte sich zurück und wartete.
Er förderte ein Feuerzeug zutage und setzte die Zigarette ohne Hast in Brand. Seine Bewegungen waren geschmeidig und kontrolliert. Im nächsten Moment umgab ihn ein Schleier aus Rauch. Er blies ihn weg.
»Vera Gemini, vermute ich?«
Vera nickte.
»Sie genießen einen ausgezeichneten Ruf. Ich war bei einem ihrer Kollegen, der mich an sie weiterverwies.«
»Das freut mich.«
»Nehmen Sie noch Kunden an?«
Die Frage überraschte sie. Im allgemeinen fingen die Leute sofort an loszuplappern. Daß eine Detektivin ausgebucht sein könnte, schien niemandem in den Sinn zu kommen.
»Hängt davon ab, was Sie wollen. Ich bin ziemlich beschäftigt«, sagte sie wahrheitsgemäß.
»Ich möchte, daß Sie jemanden für mich finden.«
Er beugte sich vor, griff erneut in seine Jacke und legte ein Foto auf den Schreibtisch. Sie nahm es. Sofort sah sie, daß links ein Stück weggeschnitten war. Das Bild zeigte einen schwarzhaarigen Mann mit Bürstenschnitt vor dem Hintergrund einer Wüstenlandschaft. Er stand mit nacktem Oberkörper in der Sonne und trug eine Waffe im Arm. Schultern, Brust und Arme waren perfekt proportioniert. Das Gesicht war von tiefem Braun, der Blick wachsam, die Augen dunkel und stechend. Um die Mundwinkel lag ein spöttischer Zug. Er sah in die Kamera, als wolle er etwas einfordern, das ihm gehörte.
Im Moment forderte er Veras Aufmerksamkeit. Sie gab ihrem Besucher das Bild zurück und stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte.
»Okay, zwei Fragen. Erstens, wer sind Sie? Zweitens, wer ist er?«
Ihr Gegenüber zuckte kaum merklich zusammen.
»Oh, tut mir leid. Wie unhöflich von mir.« Er zögerte. »Bathge. Simon Bathge.«
»Wer? Der oder Sie?«
»Ich. Der Mann auf dem Foto heißt Andreas Marmann.«
»Sie müßten mir schon etwas mehr erzählen.«
»Sind Sie eigentlich teuer?«
»Ja.«
Bathge schürzte die Lippen und verharrte.
»Na gut«, sagte er schließlich. »Warum ich Andreas Marmann suche, bleibt meine Sache. Einverstanden?«
»Nur bedingt. Im Grunde ist es Ihr Bier, allerdings muß ich wissen, ob der Job gefährlich ist.«
»Nein. Nicht... wirklich.«
»Was heißt das?«
»Sagen wir mal, nicht für Sie. Ich kann Ihnen über Marmann soviel erzählen, daß er in Köln aufgewachsen ist. Sie müßten Unterlagen über ihn finden, wenn Sie sich an die Leitung der Realschule Frankstraße wenden. Marmann hat sich mit allem möglichen beschäftigt, was Geld bringt. Das meiste ging irgendwie schief. Ich will nicht sagen, daß es einzig seine Schuld war, er hätte etwas mehr Glück verdient. Blöd war er nicht. Andererseits, wer auf dem hohen Roß sitzt, muß sich nicht wundern.« Bathge machte eine Pause. »Ich kam gut mit ihm zurecht, andere weniger. Vor zehn Jahren ging er mit vorgehaltener Waffe in eine Bankfiliale, wurde gefaßt und verurteilt. Beim Transport in den Ossendorfer Knast gelang es ihm zu fliehen. Von da an verliert sich seine Spur.«
»Für die Polizei. Auch für Sie?«
»Nein. Ich hatte bis Anfang der Neunziger Kontakt zu ihm.«
»Welche Art von Kontakt?«
»Das tut nichts zur Sache. Maßgeblich ist, daß er siebenundachtzig aus Köln verschwand, genauer gesagt aus dem Leben. Es gibt einen sehr einfachen Weg, sich in Luft aufzulösen.«
Vera betrachtete ihn. Bathge wirkte äußerlich ruhig und entspannt, aber unter der glatten Oberfläche spürte sie deutliche Anzeichen von Nervosität.
»Ich
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