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Die dunkle Seite

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Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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nicht, Hund. Lauf los und such. Oder gib auf.

Mittwoch, 25. August

8.07 Uhr. Decksteiner Weiher
    In der Nacht waren erneut Gewitterstürme über Köln gezogen und hatten die Luft ein wenig abgekühlt. Als Vera den Waldweg zum See hinunterlief, verbarg sich die Sonne hinter einem grauen Schleier.
    Sie hatte das Ufer noch nicht erreicht, als sich Bathge meldete.
    »Wenn Sie Mehmet Üsker sprechen wollen«, sagte Vera trocken,
    »der kann gerade nicht ans Telefon kommen. Soll ich ihm was ausrichten?«
    In der Leitung blieb es still. Sie konnte Bathges Verblüffung mit Händen greifen.
    »He? Sind Sie noch dran?«
    »Äh ... ja.«
    »Was haben Sie heute auf Lager? Daß Marmann der Nikolaus ist?«
    Bathge räusperte sich. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Sagen wir einfach, ich bin im Zuge meiner Nachforschungen über die Leiche eines armen türkischen Gemüsehändlers gestolpert. Er schlug kurz die Augen auf und meinte, ich solle Marmann und Ihnen einen schönen Gruß bestellen.«
    »Sie sprechen in Rätseln.«
    »Sie haben mich ganz gut verstanden. Wir müssen uns unterhalten, Bathge. Ich kann nicht für Sie weiterarbeiten, wenn ich das Gefühl habe, daß Sie sich auf meine Kosten amüsieren.«
    »Sie urteilen vorschnell«, wandte Bathge ein. »Tatsache ist, daß...«
    »Ich will das nicht am Telefon besprechen«, unterbrach ihn Vera.
    »Kommen Sie in mein Büro. Geht das um elf?«
    »Schlecht. Aber meinetwegen.«
    »Gut. Und überlegen Sie sich bis dahin ein paar Antworten.«
    »Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt!«
    »Nein, haben Sie nicht«, erwiderte Vera. »Aber Sie haben drei Stunden Zeit, sich die Wahrheit zu überlegen.«
    Sie hörte, wie er Luft holte, um zu einer Antwort anzusetzen.

    »Ab — jetzt«, fügte sie hinzu.
    Bathge schwieg.
    »Na schön«, sagte er. »Vertrauen gegen Vertrauen.«
    »Klingt gut. Bis später.«
    Es klang zu gut, um wahr zu sein.
    Vera lief noch ein Stück, dann gab sie die Privatnummer von Roth ein und erwischte ihn auf dem Sprung. Er wollte gerade losfahren.
    »So früh? Was hast du auf dem Herzen, Kleines?«
    Sie erklärte es ihm.
    »Schlag dir das aus dem Kopf!« fuhr er sie an.
    »Bitte, Tom! Du gehst rein, wenn dieser Krantz mal wieder Kaffee holt, nimmst das Bild von der Wand und machst eine Kopie. Ich weiß, daß ihr einen Farbkopierer habt. Wir hatten damals schon einen.«
    »Vera, das tangiert unsere Ermittlungen. Das kann ich nicht machen.«
    »Du mußt. Du solltest. Du könntest. Ach Scheiße, ich denke ernsthaft darüber nach, den Fall abzugeben.« Das war gelogen. »Wenn ich das Foto sehen könnte, würde mir die Entscheidung leichter fallen.«
    »Vera, du bringst mich in Teufels Küche«, stöhnte Roth.
    »Bitte, Tom.«
    »Bitte! Bitte! Du bist schlimmer als ein kleines Kind. So was kann meinen Arsch kosten, Herrgott noch mal! Warum lasse ich mich bloß immer wieder von dir breitschlagen?«
    »Also machst duʹs?«
    Roth brummelte etwas Unverständliches.
    »Danke, Tom. Du bist der Beste.«
    »Ich muß verrückt sein.«
    »Und sag Marga, ich komme euch bald besuchen«, rief Vera, bevor er auflegen konnte.
    »Jaja.«
    Roth hatte das Gespräch unterbrochen. Vera blieb stehen und sah hinaus auf den schwarzen See.
    Dann reckte sie die Arme, bis es in den Schultergelenken knackte, und lief mit erhöhtem Tempo weiter.

    9.55 Uhr. Präsidium
    Krantz hatte um zehn schon mehr als einen Liter Kaffee getrunken und fühlte sich immer noch sterbensmüde. Die Üsker‐Akten unter den Arm geklemmt, hastete er den Gang hinauf zu seinem Büro.
    Um tausend Dinge mußte er sich kümmern. Kaum, daß er Zeit an seinem Schreibtisch zubrachte. Sieben Fälle zur gleichen Zeit, und die Üsker‐Schweinerei als Krönung. Die letzte Stunde hatte er zwischen Bücherregalen verbracht und sich durch endlose Aneinanderreihungen von Mordfällen mit prämortaler Verstümmelung gewühlt.
    Nichts glich der Lindenstraße.
    Er trat die Tür zu seinem Büro auf, warf die Akten auf den Schreibtisch und heftete seinen Blick auf die Metaplanwand mit den Fotos. Das war zur Besessenheit geworden. Üsker anzustarren, wie er ausgesehen hatte. Ein intakter Mensch. Ein Mensch, der mal ein Baby gewesen war. Der herangewachsen war, den andere Menschen geliebt und in den sie Hoffnungen gesetzt hatten, bis irgend jemand Frikassee aus ihm gemacht hatte.
    Sofort sah er, daß ein Foto fehlte.
    Er ging näher ran und versuchte sich zu erinnern, was darauf zu sehen gewesen war.
    Üsker in der Wüste mit einem Mann, der ein

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