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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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auf. Ein Raster formte sich darauf. Bei genauerem Hinsehen war es ein Stadtplan.
    In dem Stadtplan bewegte sich ein roter Punkt!
    Gleichzeitig baute sich am unteren Bildrand eine Textleiste auf.
    Der Name »Schaafenstraße« erschien. Der Punkt bewegte sich weiter und bog nach einer Minute scharf ab. Aus »Schaafenstraße«
    wurde »Habsburgerring«.
    Der Peilsender in dem Feuerzeug arbeitete einwandfrei.
    Vera erhob sich, trat zu einem verchromten Schubladenschrank und holte ein schwarzes, flaches Gerät von der Größe einer Kinder-Schultafel daraus hervor. Zwei Drittel der Oberfläche wurden von einem Bildschirm eingenommen. Die portable Station ließ ein dünnes, sägendes Summen hören, als Vera den ON‐Knopf drückte, und auf dem Bildschirm erschien dasselbe grüne Raster mit dem roten Punkt darin wie auf dem Tisch.
    Der Punkt bewegte sich weiter.
    Ohne ihn aus den Augen zu lassen, das Gerät in der Linken, verließ Vera ihr Büro, schloß hinter sich ab und ging zum Wagen.

11.20 Uhr. Menemenci
    Er hatte versucht, von dem Fall zu träumen, aber seltsamerweise tauchte Üsker in seinen Träumen nicht auf. Das reale Bild des Schreckens ließ den nächtlichen Metaphern keine Macht. Menemenci träumte andere Dinge, die allesamt nicht wesentlich angenehmer waren, aber sie hatten ausschließlich mit ihm selbst zu tun. Meistens waren es Fallträume oder Visionen von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein.
    Lösungen verhieß nur der Tag. Aber dieser hatte nicht besser begonnen als die Tage davor.
    Vorwiegend mit Ratlosigkeit.
    Menemenci trat zum Fenster und sah hinaus auf den Verkehr tief unter ihm. Er war ins Dachgeschoß gefahren, um nachdenken zu können. Hier lagen die Konferenzräume, und mindestens einer davon stand immer leer. Nichtssagend eingerichtete Orte mit Resopaltischen, Rohrstühlen und Leuchtstoffröhren, die es ihm ermöglichten, einen Persönlichkeitswechsel vorzunehmen und sich in die Rolle des Mörders hineinzuversetzen.
    Und in die des Opfers.
    Menemenci seufzte.
    Er wußte, daß Krantz verärgert war. Jahrelang die Rolle des ewigen Zweiten einzunehmen, der zum Tatort fuhr, Schlüsse zog, Maßnahmen einleitete, um im entscheidenden Augenblick jemanden wie Menemenci vor die Nase gesetzt zu bekommen, da mußte einer irgendwann die Lust verlieren.
    Aber so war es nun mal. Krantz spielte die zweite Geige. Einfach darum, weil er nie einen guten ersten Mann abgeben würde. Sein Verstand weigerte sich, Meinungen heranzubilden, und darum konnte er auch keinen Psychotiker von einem Psychopathen unterscheiden. Er empfand jede Hypothese als unrein, solange sie sich nicht hart an der Grenze zur Gewißheit bewegte. Von den zwei Polizistentypen, die man bei der Kripo fand, verkörperte er in seltener Vollendung den Faktenmenschen.
    Menemenci hingegen war die Inkarnation des Meinungsmenschen. Er wußte, daß sein Talent die Kreativität war, ohne die man die gerissensten Verbrecher nicht zur Strecke bringen konnte. Ständig bewegte er sich im Grenzgebiet des Potentiellen, dachte in Szenarien und Wahrscheinlichkeiten, auch wenn sie noch so vage sein mochten. Solange er nicht wußte, was den Mörder getrieben hatte, mußte er es annehmen. Er mußte die Wahrheit erfinden.
    Das erforderte Courage. Die Annahme mündete zwangsläufig in die Voraussage, was der Mörder als nächstes unternehmen würde.
    Was bedeutete, daß jeder Schritt, um ihn an weiteren Taten zu hindern, auf Vermutungen basierte. Vermutungen, die man zu verantworten hatte. Erwies sich eine Annahme als irrig, wartete man am verkehrten Ort oder verhaftete den Falschen, konnten die Folgen verheerend sein, und man verschuldete, was man zu verhindern versucht hatte.
    Es war diese Vorstellung, die in Menemencis Eingeweiden wütete, daß er manchmal glaubte, seine Furcht habe sich zu Geschwüren verknotet oder in noch Schlimmeres verwandelt. Es war nicht das Opfer, das ihn um den Schlaf brachte, wie grausam es auch zugerichtet sein mochte. Es war die Angst, den nächsten Mord nicht verhindern zu können oder ihn sogar zu provozieren. Sich vom Glauben leiten zu lassen, um festzustellen, daß man sich auf fatale Weise geirrt hatte.
    Speziell Psychopathen wiesen sich oft durch komplexes, unberechenbares Verhalten aus. Sich ihnen auf psychologischem Wege zu nähern, konnte durchaus gelingen. Allerdings auch schrecklich danebengehen.
    Fälle von Vergewaltigungen gingen ihm durch den Kopf, in denen die Grenzen der Psychologie offenbar geworden waren.
    Frauen hatten

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