Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
derentwillen dies und das geschehen war. Es war nicht seine Hypothese, die den nächsten Mord gefördert hatte.
    Es war nicht seine Phantasie, die ein ungerechtes Urteil erwirkt hatte. Er hielt sich ausschließlich an die Fakten, und die befreiten die Ermittelnden und Rechtsprechenden von jeder persönlichen Schuld.
    Weil er nüchtern und sachlich an seine Aufgabe ging, war der Faktenmensch unbestechlich. Krantz wäre auch ein ausgezeichneter Pathologe gewesen, hätte er Medizin studiert. In gewisser Weise waren Faktenmenschen eine unschätzbare Hilfe, weil sie das Bekannte objektivieren und zugänglich machen konnten.
    Um zu ergründen, was man nicht wußte, waren sie wertlos.
    In früheren Zeiten, als die Kriminalpsychologie ein Schattendasein fristete und Hypothetiker als Spinner galten, hatten sie die Polizei dominiert. Ihre Philosophie war einfach: Eliminieren, was unrecht war. Die Frage, ob ein Mörder als solcher geboren oder erst zu einem gemacht wurde, stellte sich ihnen nicht. Die Todesstrafe war eine Erfindung der Faktenmenschen. Die Endgültigkeit war faktisch. Ihnen beizubringen, Mörder als Menschen mit Vorgeschichte zu begreifen, deren Kenntnis die Verbrechensaufklärung vorantreiben und andere Verbrechen verhindern konnte, hätte ebensowenig funktioniert wie einem Computer das Lügen beizubringen.
    Dennoch fragte sich Menemenci manchmal, ob die Faktiker mit der Todesstrafe nicht recht gehabt hatten.
    Dann wiederum haßte er sich dafür, die Frage überhaupt gedacht zu haben. Auch das gehörte dazu, wenn man die Emotion zur Strategie erhoben hatte. Meinungen zu entwickeln hieß, Gefühle zuzulassen und Leiden in Kauf zu nehmen.
    Menemenci hätte nicht tauschen wollen. Es war ihm immer noch lieber, sich für die Folgen einer Fehlentscheidung schuldig zu fühlen, weil er ein Fabulierer und Erfinder war, als in der Technokratie abzustumpfen. Um Verbrechen wie das an Üsker aufzuklären, muß‐
    te man fabulieren und erfinden können. Man mußte sich die immer gleiche Frage immer wieder aufs Neue versuchen zu beantworten: Warum war ein Ungeheuer ein Ungeheuer?
    Wie konnte man ihm beikommen, wie konnte man sein Verhalten
    prognostizieren? Was hatte es dazu gebracht, die Tat zu begehen?
    Was hatte sein Opfer getan, um es die Tat begehen zu lassen? Was hatte Mehmet Üsker getan?

11.31 Uhr. Vera
    Der Boxster stand vor dem Haus auf der anderen Straßenseite. Vera lief hinüber. Sie hatte ihn dort geparkt, um Bathge sofort folgen zu können, wenn er mit dem Feuerzeug in der Tasche die DeTechtei verließ. Mittlerweile hatte er ausreichend Vorsprung, daß sie die Beschattung unbemerkt aufnehmen konnte.
    Wie nicht anders zu erwarten, klemmte ein Strafzettel unter dem Scheibenwischer. Vera zerknüllte ihn, stieg ein und ließ die portable Station in eine dafür vorgesehene Halterung gleiten. Es klickte leise, als das Gerät einrastete.
    Der rote Punkt bewegte sich weiter über den Bildschirm und strebte dem Rudolfplatz zu.
    Die Finger ihrer Rechten glitten über eine Fläche aus geschwärztem Glas direkt über dem Radio. Mit leisem Summen schaltete sich der nachträglich eingebaute Bordcomputer ein und verwandelte den Porsche binnen Sekunden in die perfekte Erweiterung ihres Büros.
    Der Wagen war nun Kontrollraum und Kommunikationszentrale zugleich. Ausgestattet mit einer Laptopeinheit, die man ebenso wie die portable Station herausnehmen und mit sich führen konnte. Auch hier hatten die Zauberlehrlinge aus der IBM‐Entwicklung Hilfestellung geleistet. Der Computer empfing seine Daten direkt aus dem Tisch in ihrem Büro, und der zapfte bei Bedarf einen Satelliten an.
    Vera wußte, daß man ihr nicht aus purer Freundlichkeit so sehr entgegengekommen war. In den Augen der Abteilung Künstliche Intelligenz hatte sie den Status eines Versuchskaninchens. Ihre Gönner setzten voraus, daß sie über Funktionstüchtigkeit und Probleme der Anlage reportete. Es war in Ordnung so. Weit und breit gab es kein vergleichbares Gefährt, zumal nicht in privatem Besitz.
    Langsam rollte der Boxster die Schaafenstraße entlang. Trotz der Hitze verzichtete Vera darauf, offen zu fahren. Sie wollte kein Risiko eingehen. Der Peilsender verriet ihr, wo Bathge war, nicht aber, ob er sie sehen konnte. Besser, sich geschlossen zu halten.
    »Rudolfplatz. Zoom 2.8. Freeze«, sagte sie.
    Auf einfache und akzentuiert ausgesprochene Wörter und Sätze reagierte das Programm mittlerweile recht gut. Auf dem Monitor öffnete sich ein neues

Weitere Kostenlose Bücher