Die dunkle Seite
tun soll.«
»Zieh in die Stadt«, sagte Vera.
Roth zupfte an seinem Schnurrbart.
»Wenn du sie vielleicht doch mal besuchen kämest...« sagte er zö gernd.
»Ganz bestimmt.«
»Wann?«
»Vielleicht heute abend, wenn ich es schaffe.«
»Ja, heute abend wäre gut.« Er machte eine Pause und sah zum Himmel empor. »Jeder Abend wäre gut. Einer wie der andere. Egal welcher. Egal, ob überhaupt irgendein Abend. Verzeih mir, Engelchen, aber ich habʹs auch einfach satt.«
Vera nickte stumm.
Nie wird irgend jemand irgendwen verstehen, dachte sie. Unser Inneres ist eine Festung, aus der wir keinen Ausweg wissen.
Roth stieß ein unwilliges Brummen aus und reichte ihr einen braunen DIN A4 Umschlag.
»Da. Dein Foto. Ich bin wie ein Dieb in das Büro von diesem Krantz geschlichen, habʹs von der Wand genommen und kopiert.
Dann das Original zurückgebracht und mich davongemacht.«
»Danke, Tom.«
»Wenn es dir weiterhilft.« Er schüttelte den Kopf und warf ihr einen ungnädigen Blick zu. »Du solltest mit uns zusammenarbeiten.
Möglicherweise weißt du mehr als wir.«
»Ich weiß gar nichts. Was sollte ich denn wissen, was der Polizei entgangen wäre?«
»Das, was du mir erzählt hast, Vera. Daß der Typ mit der Knarre Andreas Marmann heißt. Daß jemand diesen Marmann sucht, während Üsker ermordet wird. Findest du das alles nicht ein bißchen merkwürdig?«
»Wenn ich es alltäglich fände, hätte ich dich nicht gebeten, das Foto zu kopieren. Aber erwarte nicht, daß ich euch helfe. Es gibt nicht den geringsten Grund.«
»Warum nicht, in Gottes Namen?«
»Noch nicht! Hör zu, Tom, noch ist Bathge mein Klient. Es gibt eine ärztliche Schweigepflicht. Wie du sehr wohl weißt, gibt es ebenso eine für Detektive.«
Er schüttelte noch heftiger den Kopf.
»Nein, du hast unrecht.«
»Meinetwegen.«
»Arbeite mit uns zusammen. Ich kann sonst nichts mehr für dich tun.«
»Du hast genug getan.«
»In deinem eigenen Interesse.«
»Ich arbeite in meinem eigenen Interesse.«
»Zu deinem Schutz.«
»Ich kann mich selbst am besten schützen.«
»Herrgott, Vera! Dann im Interesse anderer!«
Vera seufzte und begann den Umschlag aufzureißen.
»Ich habe lange genug gebraucht, um das Kapitel Kripo hinter mir zu lassen«, sagte sie. »Ich brauche sie nicht mehr und sie mich ebensowenig.«
»Du brauchst sie nicht mehr? Du brauchst doch mich.«
»Ja. Als Freund.«
»Gut«, nickte Roth bekräftigend. »Dann hör auf deinen Freund. Arbeite mit uns zusammen.«
»Ich arbeite mit euch zusammen, wenn ich es für richtig halte. Noch ist das nicht der Fall.«
»Die Kripo ist nicht Karl«, sagte Roth.
Vera verharrte in ihren Bewegungen und sah ihn an.
»Für mich schon.«
Einige Sekunden lang maßen sie einander mit Blicken. Dann zuckte Roth die Schultern und sah vor sich hin. Vera starrte auf den halb aufgerissenen Umschlag in ihrer Hand. Sie drehte ihn hin und her.
Dann beugte sie sich zu Roth herüber und gab ihm einen schnellen Kuß auf die faltige Wange. Er schmeckte nach billigem After Shave.
»Ich bin nun mal so«, sagte sie leise.
»Nein«, antwortete er müde. »Du bist so geworden. Kannst du die Vergangenheit nicht mal vergessen?«
»Wie denn?«
»Indem ... ach, was weiß ich!« Er verschränkte die Arme und wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf den Umschlag. »Was ist nun? Willst du ihn nicht endlich aufmachen? Wozu riskiere ich eigentlich meinen Job?«
Vera öffnete den Umschlag ganz und zog das Bild hervor. Im selben Moment wußte sie, warum sie es hatte sehen wollen. Roth hatte es vergrößert. Ihr Blick fiel auf Marmann mit dem Maschinengewehr. Neben ihm stand der Mann, dessen Gesicht sie in der Zeitung gesehen hatte, und lachte in die Kamera. Mehmet Üsker.
Sie erfaßte die Szenerie drumherum. Ein Zeltlager, wie man es aus Kriegsfilmen kannte. Im Hintergrund parkten Jeeps und etwas, das wie ein kleines Panzerfahrzeug mit Geschützturm aussah. Weitere Männer waren auszumachen, die umherliefen und Gegenstände schleppten, Kisten und Taschen, manche Waffen. Einer von ihnen, der Üsker und Marmann am nächsten war, sah herüber und grinste.
Seltsamerweise fühlte Vera kaum Überraschung.
Es war Simon Bathge.
14.15 Uhr. DeTechtei
Im Grunde hatte sie es geahnt.
Ihr erster Impuls war, Bathge den Job vor die Füße zu werfen. Er hatte sie belogen, und sie hatte es satt, sich belügen zu lassen.
Dann mischte sich ein Gefühl der Unruhe mit in die Wut. Bathge war bei der Legion gewesen
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