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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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anzutreffen waren. Zurückweisungen, Spott, Vernachlässigung, Liebesentzug, seelische Schläge, handfeste Prügel. Vielleicht hatte er irgendwann aus Wut begonnen, sich an einer Gesellschaft zu rächen, die ihn verhöhnt und seine Fähigkeiten herabgewürdigt hatte. Also würde er nun die Gesellschaft verhöhnen. Als Folterer besaß er die Macht dazu. Dominanz, Manipulation und Kontrolle waren die drei Hauptwesenszüge des Psychopathen. Damit paßte Üskers Mörder durchaus ins Bild der Serienmörder, wie sie vom FBI Anfang der Achtziger kategorisiert worden waren. In gewisser Weise war er tatsächlich einer.
    Mit Sicherheit hatte er schon andere Menschen umgebracht.
    Allerdings aus sehr speziellen Gründen.
    Es mochte Sinn machen, jemandem im Auftrag einer zahlenden Macht ein Geständnis abzuringen und in Kauf zu nehmen, daß er dabei starb.
    Aber welchen Sinn machte es in Köln?
    Was hatte Üsker getan, um diesen Teufel auf seine Spur zu bringen?
    Die Antwort formte sich im selben Moment in Menemencis Kopf.
    Üsker war in der Fremdenlegion gewesen. Bislang hatten sie dem Umstand keine besondere Bedeutung beigemessen. Es lag fast ein Jahrzehnt zurück. Er hatte sich dafür bezahlen lassen, gegen andere zu kämpfen, und war dann zurückgekehrt, um ein Leben als Gemü‐
    sehändler aufzunehmen.
    Was, wenn er seinen Mörder aus dieser Zeit kannte?
    Und sein Mörder ihn?
    Nach der Zeit bei der Legion haben sie sich aus den Augen verloren, dachte Menemenci weiter. Jetzt, nach Jahren, taucht der andere plötzlich wieder auf und will etwas von Üsker wissen. Um es in Erfahrung zu bringen, greift er zu extremen Mitteln, also muß auch die Information von extremer Wichtigkeit sein.
    Was hatte er wissen wollen?
    Anders gefragt: Hatte Üsker ihm erzählt, was er wissen wollte ?
    Hatte er es überhaupt erzählen können?
    Offenbar nicht.
    Hätte Üsker gewußt, was sein Peiniger zu erfahren suchte, hätte er sich nicht so zurichten lassen. Er hätte früher geredet. Der Mörder hatte alles unternommen, bis er sicher sein konnte, daß Üsker tatsächlich keine Informationen mehr zurückhielt. Er hatte hundertprozentige Sicherheit erlangen wollen.

    Und dann, ein einziges Mal, hatte er die Kontrolle verloren.
    Menemenci starrte wieder aus dem Fenster.
    Etwas störte das Bild vom eiskalten, professionellen Folterer.
    Während der ganzen schrecklichen Prozedur mußte er Üsker als Sache behandelt haben. Ein natürlicher Schutzmechanismus vieler Psycho‐ und Soziopathen bestand darin, ihre Opfer zu entpersönlichen.
    Aber Üsker war nicht, wie ursprünglich angenommen, an der Summe seiner Verletzungen gestorben. Hier hatte der erste medizinische Befund geirrt. Nichts davon hatte ausgereicht, um ihn zu töten.
    Er hatte drei Schüsse aus einer .22er‐Pistole in den Bauch bekommen.
    Der Mörder hätte ihn mit einem Kopfschuß töten können, nachdem er wußte, daß Üsker ihm nichts erzählen konnte. Statt dessen hatte er ihn qualvoll an drei Bauchschüssen verrecken lassen.
    Das war seine ganz persönliche Signatur.
    Und der Schlüssel.
    Vielleicht.

12.32 Uhr. Vera
    Sie trafen sich im Lichthof, einem wunderlichen Plätzchen an der Rückseite von St. Maria im Capitol. Hier schien ein Teil dessen überlebt zu haben, was man sich landläufig unter dem alten Köln vorstellte. Kleine, verwinkelte Häuser mit vorkragenden Stockwerken, steinerne Portale, mächtige Bäume und Bänke mit Blick auf den Kirchenchor.
    Roth wartete auf der mittleren der drei Bänke, als Vera kam. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen.
    Sein Gesicht wirkte fahl und verfallen. Vera setzte sich neben ihn und zog ihn am Ohr.
    »Marga gehtʹs schlecht«, sagte Roth, ohne die Augen zu öffnen.
    Vera schwieg.
    »Sie wollte heute morgen nicht aufstehen«, fuhr er fort. »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Manchmal redet sie tagelang kein Wort, das wäre ja noch zu ertragen. Allmählich fürchte ich, ihre Angst vor dem Leben ist größer als die vor dem Tod.«
    »Nein«, sagte Vera. »Das glaube ich nicht.«
    Roth drehte den Kopf und sah sie an.
    »Ich kann nicht nachempfinden, was sie durchmacht«, sagte er.
    »Das ist das Schlimmste für mich. Wenn ich ihr wenigstens helfen könnte. Der Arzt sagt, Depressionen seien eine Krankheit wie Schnupfen oder Rheuma. Aber ich denke, irgendeinen Grund muß es doch geben.«
    »Sie hat keine Aufgabe mehr. Das ist der Grund.«
    »Früher war sie lebenslustig und froh. Ich weiß nicht, was ich

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