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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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zwischen Bathges Fingern zu knicken begann.
    »Plötzlich war alles vorüber. Wir standen, und Marmann lag ein Stück weiter im Sand und rührte sich nicht. Üsker war am Rande des Nervenzusammenbruchs, und mir erging es nicht viel besser. Er schrie, laß uns abhauen, da sind noch mehr von denen, wir werden alle sterben. Bei der Vorstellung verloren wir vollends den Kopf. Ich lief zu Marmann und wollte ihm auf die Beine helfen. Dann sah ich die Blutlache. Üsker rannte wie aufgescheucht um uns herum, fluchte und heulte. Von irgendwo dröhnten Flugzeuge heran. Wir waren außer uns vor Angst.«
    Die Zigarette zerbrach. Bathges Kinnladen mahlten.
    Vera schwieg.
    »Dann sind wir gefahren«, sagte er.
    Vera spürte einen schmerzhaften Druck auf der Brust und stellte fest, daß sie die Luft angehalten hatte. Langsam ließ sie den Atem entweichen und entspannte sich.
    »Sie haben Marmann liegenlassen«, sagte sie und versuchte, es nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.
    »Wir haben ihn ... zurückgelassen«, flüsterte Bathge.
    In Vera stieg Entsetzen hoch.
    »Sie wollen sagen ...«
    »Ich weiß es nicht. Ich dachte wirklich, er sei tot. Wir hätten ihn trotzdem mitnehmen sollen, aber jeder von uns wollte nur noch weg. Die Panik hatte uns jeden klaren Gedanken geraubt. Als wir ein Stück weit gefahren waren und nichts passiert war, kehrte allmählich wieder so etwas wie Vernunft in unsere Köpfe zurück. Wir schafften es unbehelligt bis zum Stützpunkt und meldeten Marmann als tot.«
    »Aber er könnte ...«
    Bathge nickte.
    »Er könnte noch gelebt haben. Und ich denke, Üsker hat es gewußt. Er kniete neben Marmann, als ich schon im Wagen saß. Ja, ich bin mir fast sicher, daß Marmann, als wir ihn verließen, noch lebte.«
    Eine Zeitlang herrschte Schweigen.
    »Was für eine Scheißgeschichte«, seufzte Vera.
    Bathge nickte. Seine Schultern waren nach vorne gesackt. Plötzlich richtete er sich mit einem Ruck wieder auf und sah Vera an. Keine Regung sprach aus seinen Zügen.
    »Üsker war leicht zu finden«, sagte er kalt. »Was mich betrifft, ist das schon schwieriger. Andererseits gebe ich mich keinen Illusionen hin. Marmann wird mich aufspüren, wenn er nur will. Wenn ich daran denke, was er mit Üsker gemacht hat, kann ich mir kaum vorstellen, daß er mich nicht finden will.«
    »Sie glauben tatsächlich, er ist zurückgekehrt?«
    »Es sieht ganz danach aus.«
    Vera sah ihm direkt in die Augen.
    »Und das ist die ganze Geschichte?«

    Bathge ließ eine Weile verstreichen, bevor er sagte: »Nein. Es ist die Geschichte, die ich Ihnen erzählen wollte. Ich habe Ihnen den größtmöglichen Vertrauensbeweis gegeben, zu dem ich mich imstande sah.«
    Es klang einfach und aufrichtig.
    »Warum sind Sie mit alldem nicht schon viel früher rausgerückt?«
    fragte Vera kopfschüttelnd.
    »Ich wollte, daß Sie so wenig wie möglich über mich wissen. Sie hätten auf falsche Gedanken kommen können.«
    »Das bin ich auch so.«
    »Hinweise auf mich hinterlassen.«
    »Das wäre nicht passiert.«
    »Unabsichtlich. Die schlimmsten Fehler passieren unabsichtlich.«
    »Und Sie glauben wirklich, Marmann hat Üsker umgebracht?«
    »In der Zeitung stand, wie Üsker gestorben ist. Wir hatten eine Menge von dem mitbekommen, was man gemeinhin Folter nennt.
    Einiges von dem, was ich gelesen habe... kommt mir leider verdammt bekannt vor.«
    »War Marmann ein Folterer?«
    »Er wußte Bescheid.«
    »Grausig, was Sie ihm da unterstellen.«
    »Es ist auch ziemlich grausig, jemanden in seinem Zustand in der Wüste liegenzulassen.«
    Vera schwieg.
    »Fühlen Sie sich Marmann gegenüber schuldig?« fragte sie nach einer Weile.
    »Ich trage das seit Jahren mit mir herum«, sagte Bathge. »Aber ich weiß auch, daß wir uns in einer extremen Situation befanden. Das soll keine Entschuldigung sein, nur eine Erklärung. Was immer Marmann erlebt hat, was immer ihn gerettet hat, durch welche Hölle er gegangen ist, es muß den Wahnsinn in ihm entfacht haben.
    Üsker ist nicht das Opfer eines Rachsüchtigen, sondern eines Wahnsinnigen.«

    »Und jetzt wollen Sie Marmann finden ...«
    »Bevor er mich findet. Ja.«
    Vera stützte das Kinn in die Hände und starrte auf den Dom. Er leuchtete in einem ungesunden Graugelb. Seine Formen schienen sich im Gleißen des Himmels zu verflüssigen.
    »Und ich soll das für Sie machen?« fragte sie matt.
    Bathge schwieg.
    Sie schloß die Augen und versuchte das Dröhnen aus ihrem Kopf zu verbannen.
    »Sie haben Nerven«,

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