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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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neue Zigarette hervor und entzündete sie mit einem anderen Wegwerffeuerzeug. Vera fühlte Befriedigung in sich aufsteigen. Der Peilsender mußte in der Jacke vom Vormittag sein.
    Bathge trug sie nicht. Er hatte sie offenbar im Hotel gelassen. Ein letzter Blick auf den Monitor hatte den roten Punkt unverändert im Hyatt anzeigt.
    Wie es aussah, war die Frage nach Bathges Unterschlupf damit hinreichend geklärt.
    »Also gut«, sagte er nach einem tiefen Zug. »Die Stunde der Wahrheit. Widmen wir uns ... der Wirklichkeit. Sofern wir nicht beschließen, grundsätzlich jede Vorstellung von Wirklichkeit abzulehnen und die Welt als Show zu betrachten. Seit Kuwait bin ich da nicht mehr so sicher.«
    »Sie waren da.«
    »Ich war Legionär wie Üsker, ja. Fouk hat uns als Team abgeworben. Auf diese Weise landeten wir bei ZERO.«
    Vera hatte nicht erwartet, daß er so freimütig zum Kern der Sache kommen würde. Sein Tonfall war beiläufig, als spreche er über die Erlebnisse eines anderen. Viele umgaben die Wahrheit mit der Aura des Beliebigen, um sich ihr gefahrlos nähern zu können.
    »Und Marmann?«

    »Lange her, das mit Marmann«, sagte Bathge. »Wissen Sie, ich war ein schlechter Schüler, meine Faulheit war an allem schuld.« Er lachte kurz, und das Lachen verschwand und war nie dagewesen.
    »Über dem Grenzgebiet zur zehnten Klasse drehte ich ein paar gewaltige Pirouetten, zweimal in Folge. Sie nahmen mich vom Gymnasium runter und überantworteten mich der Realschule, die auch Andreas Marmann besuchte.«
    Bathge stieß Rauch durch die Nasenlöcher.
    »Da habe ich ihn kennengelernt. Ein Windbeutel! Noch fauler als ich. Aber gerade darum schien er mir freier, kühner und weiträumiger in seinen Plänen und Gedanken zu sein, als ich es je gewesen war. Er schaffte es, die Schule mit einem halbwegs diskutablen Abschluß hinter sich zu bringen. Obwohl ich definitiv weiß, daß er nie eine einzige Sekunde dafür gearbeitet hatte! Danach verloren wir uns aus den Augen. Ich schaffte es wieder aufs Gymnasium, bestand mein Abitur, trieb mich beim Bund rum und machte mir ein gutes Leben, indem ich Unteroffiziere porträtierte. Irgendwann schüttelten sie mir die Hände, gaben mich der zivilen Welt zurück, und ich ging daran, mich zu verwirklichen. Großes vollbringen.
    Kunst studieren. Musik! Keine Sekunde kam mir der Gedanke, der Liebling des Offizierskasinos könne auf die Schnauze fallen.«
    Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als amüsiere er sich über seine eigene Naivität.
    »Man legte keinen Wert auf Leute, die Kunst oder Musik studieren wollten«, fuhr er fort. »Ich büßte also Zeit ein. Vertrieb mir die Monate des Wartens mit dem Studium philosophischer Schriften, las Unmengen klassischer Literatur und hoffte, mich auf diese Weise für irgend etwas zu qualifizieren, was nicht in einem BWL‐Studium enden würde.«
    »Und was haben Sie studiert?« fragte Vera in Vorahnung dessen, was kommen würde.
    Er sah sie an.
    »Wissen Sie, es gibt einen Punkt, da setzen sich ernsthafte Leute mit Ihnen an den Tisch und sagen, so, mein Junge, laß uns mal vernünftig sein, du wirst jetzt immer älter, und das Leben ist kein Zuckerschlecken. Man geht noch einmal alle Möglichkeiten durch in der Hoffnung, irgendeinen leuchtenden Pfad übersehen zu haben, und sei er noch so schmal. Und bewirbt sich schließlich für einen Studienplatz in Betriebswirtschaftslehre. Fatalerweise wird man unverzüglich angenommen. Gut, solange sich nichts Besseres bietet.
    Also absolviert man das erste Semester, nur mal schauen, dann das zweite, und plötzlich hat man BWL studiert.«
    Bathge zog an seiner Zigarette und blies eine Skulptur aus Rauch in die Luft.
    »Na schön. Was tat ich also? Gottlob war ich nicht nur musisch, sondern auch technisch einigermaßen interessiert, also ging ich zu Ford und bewarb mich in der Entwicklungsabteilung. Sie nahmen mich. Ich will nicht sagen, daß sie gut bezahlten, aber der Job klang interessant, und die Aufstiegschancen waren vielversprechend. Ich begann ein ebenso strebsames wie langweiliges Leben zu führen.
    Und das täte ich wohl immer noch.«
    »Wenn Sie nicht eines Tages Marmann wiedergetroffen hätten.«
    »Richtig.«
    »Was war aus ihm geworden?«
    »Alles und nichts. Er sah gut aus und schwärmte mir von irgendwelchen Projekten vor. Natürlich lachte er mich aus, als er von meiner glanzvollen Karriere hörte. Er prophezeite mir ein ödes Spie ßerdasein und pries seinen Lebenswandel als das Tonikum

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