Die dunkle Seite
der wahren Lust! Es schien ihm Spaß zu machen, sich ständig auf Messers Schneide zu bewegen. Ich konterte mit Altersvorsorge und gesunder, stetiger Entwicklung, aber leider muß ich sagen, daß er das schickere Auto fuhr, die besseren Frauen abschleppte und Restaurants besuchte, die ich nicht mal von außen kannte. Je mehr wir zusammen unternahmen, desto beunruhigender fand ich die Vorstellung, den Rest meines Daseins als Betriebswirtschaftler zu verbringen.«
Unverändert haftete seinen Worten eine analytische Kälte an, als schildere er Figuren aus einem Theaterstück. Selbstschutz, dachte sie. Die eigenen Erinnerungen so behandeln, als gehörten sie jemand anderem. Ein Trick, Distanz zu wahren. Sie selber wußte sehr genau, wie man so etwas machte. Sie hatte ausreichend Grund dazu gehabt.
Aber warum er?
»Sie hätten wieder zur Bundeswehr gehen können«, sagte sie aufs Geratewohl. »Da war doch alles hübsch einfach, oder?«
Er warf ihr einen mitleidigen Blick zu.
»Ich wollte kein einfaches Leben. Die Bundeswehr ist ein Büro mit abgewetztem Schreibtisch und Linoleumfußboden. Noch langweiliger als Ford. Nein, ich ... fühlte plötzlich, daß ich ähnlich wie Marmann darauf brannte, Grenzen auszureizen. Ich hatte mich mit der Vernunft arrangiert. Marmann mochte ein Spinner sein, aber wenn, dann wollte ich lieber mitspinnen, als weiter zu versauern. Ein völlig anderes Leben führen. Nur daß ich nicht wußte, welche Art Leben. – Dann ließ sich Marmann Mitte der Achtziger auf einen Deal ein, der schlicht eine Nummer zu groß für ihn war. Von heute auf morgen besaß er gar nichts mehr. Man sollte erwarten, er hätte auch das mit charmantem Verlierergrinsen weggesteckt, aber erstmalig erlebte ich ihn ratlos und verzweifelt. Und dann schien es plötzlich, als habe der Himmel ein Einsehen.«
»Die Legion.«
»Wir waren mit einem Offizier bekannt, der dreiundachtzig unehrenhaft entlassen wurde. Ein charismatischer Bursche von perfider Freundlichkeit, auf den die Leute reihenweise reinfielen, bis sie sein wahres Gesicht zu sehen bekamen. Er war mir suspekt, aber er hatte die Idee, sich bei der Legion zu verdingen. Leider waren sie zu dem Zeitpunkt in Frankreich etwas wählerisch. Wir blitzten erst mal ab.«
»Ich dachte, jeder Halunke käme da unter«, sagte Vera erstaunt.
»Halunken gibt es bei der Legion im Überfluß, aber man muß bestimmte Qualifikationen mitbringen. Manche sind hochqualifiziert, eben weil sie dumm sind und brutal. Aber Truppen sind auf dem freien Markt einem enormen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Wir leben nicht mehr im Dreißigjährigen Krieg. Mit zwei Dutzend Schlagetots machen Sie heute kein Geschäft mehr. Krieg ist Management, Strategie, Logistik, Effizienz, und die gewinnbringendste Handelsware heißt Intelligenz. Viele Waffenträger verdienen ihr Geld mit dem Kopf. Wer genug drin hat, wird entsprechend bezahlt. Und sie brauchten bei der Legion auch Techniker. – Kurz, ich hatte beschlossen, dem Haufen beizutreten. Will sagen, dem denkenden Teil, wo man sich eines gewissen ... Niveaus erfreut.«
»Schick«, sagte Vera mit kaum verhohlenem Spott.
Bathge zuckte die Achseln.
»Sie treffen beide Sorten dort, die Schweinehunde und die Philosophen. Glauben Sieʹs oder nicht, aber auch Gewalt ist eine Philosophie. Nichts, was sich mit ein paar wohlgesetzten Worten nicht begründen ließe.«
»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie werden es auch mit wohlgesetzten Worten begründet haben.«
Er hob die Brauen.
»Das gleiche setze ich in Ihrem Fall voraus.«
»Ich bin auf der Seite der Guten«, sagte Vera und mußte unwillkürlich grinsen.
»Hübsch formuliert. Tragen Sie eine Waffe?«
»Grundsätzlich nicht.«
Bathge schien nachzudenken. Sein Blick schweifte für den Bruchteil einer Sekunde ab.
»Sind Sie eine Waffe?«
»Ja.«
»Hätten Sie gegen Saddam Hussein gekämpft?«
»Ich weiß es nicht.«
»Gegen Karadzic?«
»Vielleicht.«
»Sehen Sie, die Legion ist ein komischer Verein. Asoziale, Akademiker ... Sie begegnen Leuten, die mit einer Waffe ebensogut umgehen können wie mit Worten. Ich will nichts beschönigen. Im nachhinein erscheinen mir die Ideale der Legion höchst fragwürdig.
Aber damals war ich durchaus überzeugt, was Besseres zu sein als jeder x‐beliebige Soldat. Was sich zum Beispiel darin ausdrückte, daß ich mehr verdiente.«
Vera schwieg. Sie überlegte, ob eine Detektivin besser war als jeder x‐beliebige Polizist.
Oder
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