Die dunkle Seite
gefordert. Tausende habe ich einzeln ausgebildet, aber Sie müssen mir nachsehen, daß ich nicht jedes Schicksal in meinem Herz versiegeln konnte. Es wäre fatal gewesen, wenn die Toten meinen Blick auf die Zukunft verschleiert hätten. Ich wußte, sie sind tot. Das Wie mag andere beschäftigen. Mich kümmert nur der neue Tag.«
»Darf ich fragen, was ZERO heute macht?«
»ZERO schläft. Wenn der große Gott des Krieges wieder die Ebenen erzittern läßt, wird er vielleicht auch ZERO wecken.«
Es klang nicht gut, wie er das sagte.
»Sie hatten übrigens Glück«, fügte er hinzu. »Ich stand kurz davor, das Haus zu verlassen. Derzeit organisiere ich eine gewaltige Expedition. Ich muß mich schon jetzt entschuldigen, wenn ich nicht umgehend zurückrufe, aber ich verspreche Ihnen, die Sache so schnell wie möglich zu prüfen. Geben Sie die Nummer meinem Sekretariat.«
»Danke«, sagte Vera und hoffte, ZERO würde auf ewig weiterschlafen.
Nach dem Gespräch trat sie zu einem mattsilbernen Stahlschrank, entnahm ihm einen Hängeordner und holte die Farbkopie hervor, die Marmann, Bathge und Üsker zeigte. Eine Weile betrachtete sie es. Bathge hatte sich nicht sonderlich verändert. Seine Gesichtszüge waren kantiger geworden, die Falten tiefer, und er trug die Haare länger. Sonst aber sah er in die Kamera, als wolle er gleich einen Schwall Rauch von sich geben und lächelnd dahinter verschwinden.
Sie schrieb mit schwarzem Filzstift die Namen an die jeweiligen Personen auf dem Foto und begann mit der Übertragung.
Danach unternahm sie einen erneuten Versuch, die Akte des Rechtsanwalts zu studieren. Es dauerte keine drei Minuten, und das Telefon riß sie heraus.
»Hat Ihr Klient nachgedacht über die dreißigtausend?«
Sofort erkannte sie die schleppende Stimme.
»Er ist bereit, die Summe zu zahlen«, sagte Vera. »Aber er knüpft eine Bedingung daran.«
»Welche?«
»Eine annehmbare. Besser, er erzählt es Ihnen selbst.«
»Er will mich treffen?«
»Ja.«
Solwegyn ließ eine Weile verstreichen.
»Gut, meinetwegen. Die Person, die Sie als Marmann bezeichnen, signalisiert ihr Einverständnis, der Botschaft Ihres Klienten Gehör zu schenken. Ich hoffe in Ihrem Interesse, Frau Gemini, daß Sie nicht versuchen, mich aufs Kreuz zu legen. Üskers Tod ist keine gute Referenz.«
Vera jubelte innerlich. Marmann war gefunden! Sie hatte ihren Auftrag erfüllt. Schneller, viel schneller, als sie zu hoffen gewagt hatte.
»Ich bin sehr froh, daß Sie uns helfen wollen«, sagte Vera. »Mein Klient ist begierig, den Kontakt so schnell wie möglich herzustellen.«
»Schlecht in den nächsten Tagen. Wir inszenieren eine dreitägige Orgie zu Ehren des Mitras. Katya ist losgefahren, um einen Minotaurus aufzutreiben.«
»Gehört der Minotaurus nicht eher zu Minos?«
»Was weiß ich«, sagte Solwegyn lustlos. »Der Mitraskult hat auch was mit Stieren zu tun gehabt. Nehmen Sieʹs nicht so genau, am Ende geht es nur ums Bumsen. Sagen Sie Ihrem Klienten, heute abend hätte ich eine Stunde Zeit. Andernfalls muß er sich eine Woche gedulden.«
»Sieben Uhr?«
»Acht. Kommen Sie um acht.«
»Wir werden kommen.«
»Und, Frau Gemini...«
»Ja?«
»Seien Sie so freundlich und bringen Sie das Geld mit. Oder wenigstens einen Teil.«
»Ich weiß nicht, ob das so schnell zu machen ist.«
»Hm. Kommen Sie erst mal. Das weitere werden wir dann schon besprechen.«
Vera legte auf und fühlte sich in Hochform.
Nur die Sache mit den dreißigtausend machte ihr noch Kopfzerbrechen. Bathge hatte gesagt, er wolle das Geld investieren. Aber es wurmte sie trotzdem, daß sie keinen günstigeren Weg für ihn gefunden hatte.
Vielleicht half ihr Fouk ja doch noch aus der Klemme.
Sie wählte die Funknummer auf dem Zettel und rief Bathge an.
Zugleich holte sie ihn auf den Bildschirm.
Der Punkt bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit Richtung Innenstadt. Wenn er das Feuerzeug nicht mittlerweile irgendwo liegengelassen hatte und ein anderer es mit sich rumtrug, saß er wohl in seinem BMW. Oder er fuhr Taxi oder Straßenbahn.
Was tat er den ganzen Tag?
Bathge ließ es zweimal klingeln, dann ging er dran.
Auto, wußte Vera, noch bevor er sich meldete. Und er fährt selber.
Mit einiger Übung hörte man heraus, ob jemand vorne oder hinten im Wagen saß.
»Was machen Sie heute abend?« fragte sie.
»Oh!« Er lachte. »Wollen Sie wieder mit mir ausgehen?«
»Solwegyn hat sich gemeldet.«
»Verdammt, das ging schnell. Und?«
»Ich habe ihn
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