Die dunkle Seite
sein Jackett zu, ging nach unten, öffnete die Haustür und trat hinaus in die drückend schwüle Nacht.
»Ist irgend jemand hier?« rief er drohend.
Nicht mal der Wind rauschte als Antwort in den Ästen.
Freitag, 27. August
10.00 Uhr. Vera
Zwei Rechtsanwälte, die sie zur Detektivin ihres Vertrauens erkoren hatten, schoben Aufträge rüber. Nichts Spektakuläres. Arbeit, von der sich leben ließ. Da Solwegyn augenblicklich die fruchtbarsten Resultate im Fall Bathge verhieß, wollte sie seinen Anruf abwarten, um sich einstweilen anderen Dingen zu widmen. Sie war froh über die Abwechslung. Seit Strunk gekündigt hatte, brach die Arbeit über sie herein wie eine Lawine. IBM hatte weitere Jobs in Aussicht gestellt. Die Überwachung der Detektorenfirma lief auf vollen Touren.
Einen Mitarbeiter konnte sie sich leisten. Auch dann wäre sie kaum zur Ruhe gekommen. Der Fluch guter Empfehlungen war nun mal die Schlaflosigkeit.
Aber sie war alleine.
Selbst schuld, dachte sie. Du mußt ja immer alles selber machen.
Wer nicht abgibt, kriegt auch nichts zurück.
Sie fuhr die hintere Monitorleiste aus. Fünf kleine Bildschirme, die ihr gleichzeitig die Aufzeichnungen von maximal fünf unterschiedlich plazierten Kameras zeigten. In diesem Fall hatten die Spider-Cams, die sie am Vortag in der Detektorenfirma plaziert hatte, die ganze Nacht über gesendet.
»Spider 1, 2, 3«, sagte sie.
Zwei Bildschirme blieben dunkel, die anderen flackerten auf und zeigten bläuliches Schneegestöber. Das Sprachprogramm schien heute guter Laune zu sein.
»Replay.«
Das Labor erschien aus drei verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen Zooms. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Aufzeichnungen der letzten zwölf Stunden in voller Länge Revue passieren zu lassen. In der Vergangenheit hatte man entweder die Nacht am fraglichen Ort verbringen und mit der Mü‐
digkeit ringen müssen, oder man war um das Dauerkino nicht herumgekommen. Mit den Möglichkeiten digitaler Aufzeichnung und der angeschlossenen Software hatte sich das Problem erledigt. Das Wiedergabeprogramm selektierte Bewegungszustände, was hieß, daß die Aufzeichnungen einer starr ausgerichteten Spider‐Cam in statische und nichtstatische Signale unterteilt wurden. Der Computer sichtete die Aufzeichnungen in Sekundenschnelle und zeigte erst Bilder, wenn jemand den observierten Raum betrat oder sonst etwas darin in Bewegung geriet. Man konnte das Programm abstufen, so daß es schon auf winzige Veränderungen im Erfassungsraster reagierte oder aber erst auf eine Herde hereinbrechender Elefanten.
Vera hatte eine Grobjustierung vorgenommen. Sie ließ die Daten der drei Spider‐Cams simultan anlaufen, um zu sehen, ob alle einwandfrei aufgezeichnet hatten. Nachdem sie sich eine Minute lang davon überzeugt hatte, sagte sie:
»Selektion 3,3.«
Das war die Feinjustierung. Wieder erschien Schnee auf den Monitoren. Das Programm suchte nach Stellen, in denen etwas von der Größe eines Kindes an aufwärts den Raum betrat.
Lange brauchte sie nicht zu warten.
»Scheiße!«
Ein Riesenschnauzer spazierte ins Bild und begann die Ecken auszuschnüffeln.
»Cue !«
Das Programm hastete weiter, stoppte, lief, stoppte. Der Schnauzer legte sich hin, stand wieder auf, lief herum und fand endlich einen Platz, der ihm für ein Nickerchen geraten schien.
Erneut Schnee. Erneut Bilder vom Hund.
Wütend ließ Vera die Launen des Köters über sich ergehen, bis er den Raum wieder verließ. Von da an zeigte der Computer keine Aufzeichnungen mehr. Niemand hatte den Raum danach betreten.
Sie rief den Firmenleiter an.
»Es gibt ein Problem«, sagte sie.
»Haben Sie den Einbrecher?«
»Ja.«
»Verdammt. Das ist toll. Er warʹs, stimmt? Es war dieser dämliche...«
»Besitzen Sie einen Riesenschnauzer?«
»Ah ... ja.«
»Dann warʹs Ihr Hund.«
Verdutztes Schweigen.
»Wenn wir die Observierung heute nacht wiederholen«, sagte Vera sehr freundlich, »wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn mit nach Hause nähmen.«
»Er ist... ich lasse ihn manchmal auf dem Grundstück. Ich dachte, als Wachhund.«
»Erstens lassen sich Einbrecher von Wachhunden in weit geringerem Maße abschrecken, als man gemeinhin glaubt. Zweitens irritiert er meine Software.«
»Tut mir leid.«
»Kein Problem.«
Sie legte auf und nahm sich die Unterlagen von einem der Rechtsanwälte vor.
Nach einigen Minuten legte sie die Kladde wieder aus der Hand und starrte über den Tisch hinweg durch
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