Die dunkle Treppe
und hängte mein Handtuch auf. Nach wenigen Sekunden stand ich unter einem heißen Wasserstrahl und wusch mir Haare, Beine, Arme, Oberkörper, wusch mich überall und schrubbte alles Schlechte ab: Pete und das besetzte Haus, das Leid der armen Frau, meine eigene Lethargie …
Jahrelang waren mir zu meiner Mutter nichts als schlechte Dinge eingefallen, immer hatte ich sie als einen kranken Menschen vor mir gesehen und sie als die Ursache meines Unglücks betrachtet, doch jetzt wurde ich von einer wahren Bilderflut überrollt. Wie wir in der Küche Törtchen gebacken hatten und versehentlich die ganze Sahne auf Mamas grünen Pullover gespritzt war. Wie ich mich an meinem siebten Geburtstag übergeben musste und steif und fest behauptet hatte: »Der Wackelpudding muss schlecht geworden sein« (obwohl ich zuvor dreiundzwanzig Würstchen im Schlafrock, zwölf Schokoriegel und die Hälfte einer Eistorte in Elefantenform vertilgt hatte). Wie wir bei geschlossenen Gardinen zu zweit auf dem großen Ledersofa gesessen hatten und dicht aneinandergekuschelt Anne auf Green Gables geschaut hatten. Wie meine Eltern mir im Red Lion ein festliches Mittagessen spendiert hatten, als ich im Alter von neun Jahren zur »besten und fairsten Spielerin« der Netzballmannschaft von St. Patrick gekürt worden war. Wie ich einen ganzen Tag bei Mama in der Praxis verbracht hatte – sie war praktische Ärztin – und gewissenhaft die Patienten ankündigte: »Jane Beaumont ist zu ihrem Elf-Uhr-Termin gekommen, Dr. Kelly.« Wie ich Ping und Sieben kleine Australier und Der Wunderweltenbaum gelesen hatte. Wie ich einen alten Kinderreim gesungen hatte: »Dreh dich nicht um, denn der Plumpsack geht um.«
Wie wir gelacht hatten.
Ich trocknete mich ab, wickelte mich in das Handtuch und ging zu den mannshohen Spiegeln vor dem Duschbereich. Sie waren mit Wasserdampf beschlagen, und ich wischte langsam mit der Hand über einen der Spiegel.
Mein Gesicht sah schrecklich aus.
Ich ging in den Massageraum. Eine Straßenlampe warf ihr schwaches Licht durch ein Fenster, das Hamish offenbar aufgestemmt hatte, um in das Gebäude zu kommen. In der Schicht aus toter Haut, die den Boden bedeckte, zeichneten sich seine Fußspuren ab. Sie wirkten irgendwie unheimlich. Ich schnipste braune Haut von meinen nackten Fußsohlen und wollte gerade nach dem Plastikbeutel mit Kleidungsstücken greifen, den Hamish mir mitgebracht hatte, als ein Gedanke mich innehalten ließ. Ich überlegte eine Weile.
Ich nahm den Kleiderbeutel und ging wieder zurück, um mich wirklich im Spiegel zu betrachten.
Ich sah erschöpft aus vom langen Weglaufen. Jetzt gab es nichts mehr, wovor ich weglaufen musste, und meine Gesichtszüge wirkten viel entspannter. Ich ließ das Handtuch zu Boden fallen und sah mich genau an – den Körper, der mir immer Angst gemacht hatte. Ein guter Körper, eine gute Figur. Hübsch. Wenn man ihn so sah, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass ein Wurm darinsaß und nagte.
Ich griff in die Plastiktüte, holte eins von Hamishs T-Shirts heraus und zog es an. Der Spiegel war schon wieder beschlagen. Ich rieb eine Stelle frei, um mein Haar zu richten und betrachtete mein trauriges, entspanntes Gesicht. Ich rieb etwas tiefer eine Stelle frei, um mich in dem weißen T-Shirt zu betrachten, von dem Hamish gesagt hatte, dass er es normalerweise im Bett trage. Es war ein hübsches T-Shirt, vielleicht Größe sechzehn, mit schicken Nähten, einem tiefen Rundhalsausschnitt und einer beeindruckenden schwarzen Abbildung auf der Vorderseite. Sie zeigte zwei sehr große Augen.
Teil fünf
42
Irgendwie war das alles scheiße gelaufen, dachte Hamish. Seine Schuld. Er hätte sich an die Streunerinnen halten sollen, die nicht so viel hatten, wofür es sich lohnte zu leben. Er hätte die Besetzer davon abhalten sollen, in das Haus einzuziehen. Mit jeder Minute wurde ihm übler.
Als Bronwyn anrief, hatte er gerade an der Queensway Terrace geparkt und sich gefragt, was am besten mit der Leiche zu tun sei. Seine »Arbeitskleidung« lag in Plastiktüten auf dem Beifahrersitz.
Er musste die Leiche nicht nur loswerden, er musste sie auch säubern, damit sie die Polizei nicht auf seine Spur führte. Mit ihrem Anruf hatte Bronwyn ihm wie durch Zauberei die Antwort gegeben. Die Dampfräume. Mehr Chemikalien und Scheuerbürsten, als er jemals brauchen würde. Vielleicht gab es da sogar einen Verbrennungsofen. Wie im Krematorium.
Sobald er mit der Leiche fertig war, würde er sich
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