Die dunklen Engel (German Edition)
was er wollte. Sie konnte ihn nicht ansehen. «Ich werde heiraten, Mr. Skavadale. Ich sollte gar nicht hier sein.»
«Dann gehen Sie, Mylady.»
Sie schaute scharf zu ihm auf, sagte jedoch nichts.
Er stand auf. «Es ist überflüssig, es zu erwähnen, Mylady, aber niemand wird erfahren, dass wir uns getroffen haben.»
Sie setzte zu einer Antwort an, schwieg dann jedoch. Morgen, dachte sie, hätte ich genau das gefürchtet.
Seine Stimme war nicht mehr sanft und leise. «Ich bringe Hirondelle für Sie in den Stall. Die Stallburschen sollen den Kehlriemen nicht zu stramm anziehen, das macht man hier gerne.»
«Ja.» Sie stand auf und strich verlegen ihren Umhang glatt. «Ja, das macht man hier gerne.»
Er trat auf die oberste Stufe. «Ich bitte um Verzeihung, falls ich Sie gekränkt habe, Mylady.»
Sie wandte sich zur anderen Seite des Eingangs. Der Himmel war schwarz, sternenübersät, unendlich weit. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste, dass er nicht wollte, dass sie ging, dass sie zu der Musik und den Kerzen zurückkehrte. Und sie wollte nicht gehen.
Sie schaute ihn nicht an. «Hat Ihr Volk eine Geschichte darüber, was geschieht, wenn der Mensch sein Geschöpf findet?»
«Ich habe sie noch nie gehört», sagte er schlicht, den Blick in die Sterne gerichtet.
Sie sah zum Schloss hinüber. Ihr Platz war dort, unter den Tänzern, die sie in die wohlgeordnete Ehe mit Lord Lewis Culloden führen würden. Er würde ihr Kinder schenken und neben ihr stehen, wenn die Kinder heirateten, und irgendwann neben ihr im Grab liegen. Sie spürte, wie ungeheuer traurig das alles war, als erwartete sie ein endlos trostloses Leben.
Sie schaute ihn an und fing seinen Blick auf, als er seine Augen auf sie richtete. Sie hatte das Gefühl, an einem Wendepunkt zu stehen, auf einem winzigen Fleck, und die geringste Bewegung würde sie ins Chaos stürzen.
Sie brachte keinen Ton heraus.
Langsam und mit unendlicher Sanftheit hob er die rechte Hand, und sie sah sie auf ihr Gesicht zukommen, und sie sagte sich, sie müsste sich bewegen, doch dann berührten seine Finger ihre Wange in einer so zarten, so tröstlichen Geste, dass sie wieder zitterte, als er ihre Haut bis hinunter zum Kiefer streichelte und dann die Hand, warm und zärtlich, in ihren Nacken gleiten ließ.
Mit großen Augen sah sie zu ihm auf.
Er küsste sie.
Sie schloss die Augen und staunte.
Sie küsste ihn, und sie hatte das Gefühl, als habe das Zittern, das tief in ihrem Innern angefangen hatte, die Macht, sie zu erschüttern und zu wärmen, und sie spürte zu ihrem Erstaunen dasselbe in ihm. Sie löste ihre Lippen von seinen und legte die Wange an seine Schulter und klammerte sich an ihn. Sie weinte.
Keiner sprach. Es gab nichts zu sagen.
Er streichelte ihren Rücken. Langsam verebbten ihre Schluchzer. Sie hielt die Augen geschlossen.
Es war unmöglich. Sie würde heiraten. Sie war hierhergekommen, dachte sie, wie ein junges Mädchen, das so ein schuldbewusstes Stelldichein für ein ungezogenes Spiel hielt. Stattdessen hatte sie eine Macht entdeckt, die mit dem Verstand überhaupt nicht zu begreifen war.
Langsam neigte er ihren Kopf nach hinten, küsste die Tränen von beiden Wangen und lächelte sie an. «Ich verspreche, ich komme zurück, Mylady.»
Sie sagte nichts. Sie würde verheiratet sein.
Er trat von ihr weg. «Und vergessen Sie nicht: Ihnen wird kein Leid geschehen.» Er bückte sich, hob seine Satteltasche auf und ging die Stufen hinunter. «Ich lasse Ihnen den Wein da und bringe Hirondelle in den Stall.»
Mit einem Kloß im Hals schaute sie ihm hinterher. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Erinnerung an diesen einen Kuss war wie ein Brandmal, als wäre ein Stern zu Boden gefallen.
Sie sah zu, wie er sein Pferd bestieg. Er blickte sie noch einmal an. «Ich komme zurück. Ja develesa, shukar .»
Während er in die Nacht ritt, überlegte sie, was seine letzten Worte bedeutet haben mochten. Sie spürte eine unendliche Einsamkeit, als wäre sie das einzige Lebewesen auf dem ganzen weiten, dunklen Planeten.
Sie wollte nicht ins Schloss zurückgehen, das wäre schlimmer als alle Einsamkeit.
Also setzte sie sich auf die Brüstung und schenkte sich Wein ein. Sie hob das Glas zum Toast auf sich selbst, zum Toast auf die Torheit.
Sie trank allein im Tempel unter den Sternen und wusste, dass nach diesem Kuss nichts je wieder so sein würde wie zuvor. Sie weinte. Sie würde heiraten, und nie würde sie das Glück
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