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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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können Sie sagen?»
    Es herrschte Stille. Die Musik wehte leise über den Park. Eine Fledermaus flog im Bogen dicht am Eingang zum Tempel vorbei und verschwand.
    Mit seinen hellen Augen blickte er sie an. «Sie werden durch Schatten gehen, durch Tod, durch Entsetzen, aber es wird Ihnen kein Leid geschehen.»
    Sie zitterte. Sie war in Dorset, in einem Park, und dieser Mann sprach von Schatten, Tod und Entsetzen. «Das denken Sie sich nur aus.» Sie trank von dem Wein und stellte das Glas weg. «Sie versuchen, mir Angst einzujagen», sagte sie trotzig.
    Er schüttelte den Kopf. «Nichts wird so sein, wie es scheint, aber Sie werden in Sicherheit sein. Vergessen Sie das nicht. Ihnen wird kein Leid geschehen.»
    Sie lächelte. «Das ist nicht das Schicksal, Mr.   Skavadale. Das ist Schwarzmalerei.»
    Er sah sie an. «Hätte ich die Geister der Toten heraufbeschwören sollen? Die Erde erzittern lassen?»
    «Es wäre beeindruckender gewesen.»
    Er lachte. «Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt; was Sie damit machen, liegt bei Ihnen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen, aber ich habe nicht die Fähigkeiten meiner Mutter zum dukkering .»
    «Hat sie Ihnen wahrgesagt?»
    Er nickte.
    «Und was hat sie Ihnen gesagt?»
    «Dass ich das finden würde, wonach die Roma suchen.»
    Sie lächelte. «Und wonach suchen die Roma?»
    Er kehrte zu ihr zurück, lehnte sich an den Globus, und sein schwarzer Umhang fiel über den hellen Marmor. Er roch angenehm nach Leder, Pferden und Tabak. «Mein Volk hat eine Geschichte.»
    Sie schaute in seine humorvollen hellen Augen und überlegte, wie viele junge Frauen wohl von diesem Mann träumten. «Erzählen Sie mir Ihre Geschichte.»
    Er lächelte. «Als die Götter den Menschen auf die Erde brachten, gaben sie ihm die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Erstens konnte er arbeiten und die Erde reich machen. Um ihm zu helfen, gaben ihm die Götter die Herrschaft über alle Tiere; den Ochsen, damit er den Pflug für ihn zog, den Hund, der für ihn jagen sollte, die Kuh, die ihn ernähren sollte, das Schaf, um ihn zu kleiden, und das Pferd, um ihn zu tragen. All das, sagten die Götter, könne der Mensch haben.» Seine weiche, tiefe Stimme hielt inne.
    «Und die zweite Wahl?»
    «Die zweite Wahlmöglichkeit war, arm zu sein, kein Getreide anzubauen, kein Vieh zu hüten, keine Denkmäler zu bauen. Stattdessen, sagten die Götter, könne der Mensch nach dem Glück streben. Und was, fragte der Mensch, ist das? Und die Götter sagten, sie hätten nach dem Menschen noch ein Geschöpf geschaffen, das letzte Geschöpf, das sie überhaupt geschaffen hatten, und obwohl dieses Geschöpf geschlagen, ausgepeitscht, entstellt, ausgenommen, gehäutet und getötet werden könne, könne es niemals besiegt werden. Doch wenn der Mensch dieses Geschöpf fände und es ihm gelänge, dass es freiwillig zu ihm kam, würde der Mensch das Glück finden. Und der Mensch fragte: ‹Was ist das für ein Geschöpf?› Die Götter sagten, dieses Geschöpf sei schöner als die Morgendämmerung und der Mensch würde es wissen, wenn er es gefunden hätte. Alle Stämme, einer nach dem anderen, wählten den Reichtum; alle Stämme, außer den Roma. Wir haben ein Pferd gestohlen, um die Suche schneller zu machen, und wir durchstreifen seither die Erde und jagen das letzte und schönste Geschöpf der Schöpfung. Wir jagen das Geschöpf, das schöner ist als die Morgendämmerung.»
    Sie lachte. Sie hatte das Gefühl, außerhalb des kleinen weißen Gebäudes gäbe es keine Welt.
    Er beugte sich vor und hob sehr langsam und sehr sanft die Hände. Sie sah sie auf sich zukommen und rührte sich nicht. Er schob die Kapuze ihres Umhangs zurück, sodass ihr blassgoldenes Haar im Mondlicht schimmerte. «Schöner als die Morgendämmerung, Mylady, und in Ihren Augen werden Sterne sein.»
    Sie sah ihm in die Augen. «Zu meinen Füßen liegen keine Lilien, Mr.   Skavadale.»
    «Sie haben gar nicht nachgeschaut.»
    Die Traurigkeit, die sie überkam, war schier überwältigend. Leise wehte die Musik über den Park. Musik, die ihr sagte, dass sie einem anderen Mann ihre Hand und ihren Körper versprochen hatte, um in der Ehe sein zu werden. Sie zog sich die Kapuze wieder über den Kopf und atmete tief durch. «Das ist töricht.»
    «Ist es das?»
    Er hatte sie an den Ort geführt, den sie fürchtete, dahin, wo die Wahrheit, auch wenn sie in die Pracht von Märchen und Schmeichelei gekleidet war, ihre Antwort verlangte. Sie konnte ihm nicht geben,

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