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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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Familienähnlichkeit. Er nennt mich mon ami , legt mir den Arm um den Hals und sagt mir, ich solle für Frankreich heiraten und eine Familie republikanischer Kavalleristen in die Welt setzen.»
    Sie lachte unsicher. Dass er vom Heiraten sprach, berührte an diesem Abend eine empfindliche Seite in ihr. «Und?»
    Er lächelte. «Ob ich heirate? Ja, ich bin achtundzwanzig, es ist schon fast über die Zeit, aber ich würde nie für Frankreich heiraten.» Er schaute über den im silbernen Mondlicht daliegenden Park. «Ich möchte das verdammt schnellste Pferd auf der Welt züchten.»
    Sie hatte einst dasselbe gesagt. Plötzlich war sie neidisch, denn dieser Mann, dieser Zigeuner, würde das Leben führen können, das sie sich wünschte. Sie war neidisch auf diejenigen, die sein Leben teilen würden, und der Neid vertrieb sämtliche Gedanken an Bertrand Marchenoir. «Was hat das Züchten eines schnellen Pferds mit dem Heiraten zu tun?», fragte sie in bewusst heiterem Tonfall, um ihren Neid nicht zu zeigen.
    «Ich kann nicht das schnellste Pferd züchten und gleichzeitig für mich selbst kochen.»
    Sie lachte, was in seiner Absicht gelegen hatte. Dann schaute sie zu Boden und fragte wie beiläufig: «Wen werden Sie heiraten?»
    «Wenn ich ihr begegne, weiß ich es.» Er hielt inne. Der Wind raschelte in dem trockenen Laub zu ihren Füßen. Als er weitersprach, war seine Stimme dunkel wie die Nacht selbst. «Sie wird schöner sein als die Morgendämmerung, und in ihren Augen werden Sterne sein. Zu ihren Füßen wachsen Lilien und in ihren Händen Liebe.»
    Seine Worte verschlugen ihr den Atem. Erschütterten sie bis ins Mark. Er hatte so ruhig gesprochen, auf ganz alltägliche Weise, und dann plötzlich solche Poesie. Sie schaute zu dem verwirrenden, eindrucksvollen Mann auf. «Von wem ist das?»
    «Von mir. Man geht nicht zum Markt, ohne zu wissen, was man will.»
    Sie lachte, aber sie war erregt. Er hatte das Gespräch auf die Liebe gebracht, und es wäre ein Leichtes, es davon abzulenken, doch wollte sie in diesem Augenblick nicht ausweichen. Langsam sagte sie: «Man hat mir gesagt, Liebe sei ein Trugbild.»
    «Wer sagt so etwas?»
    «Mein Onkel. Selbst mein Vater behauptet, es gibt keine Gewissheit.» Sie hörte sich die Worte sprechen und wunderte sich darüber, und doch war es immer noch ganz natürlich, mit ihm zu reden. Nur mit sehr wenigen Menschen konnte sie über die Liebe reden. Ihr Onkel machte sich freundlich über sie lustig, ihr Vater wollte sie nur in Sicherheit sehen, ihre Freundinnen waren so unwissend wie sie selbst. Dieser Mann mit seiner sanften, selbstsicheren Stimme machte sich weder über das Thema lustig, noch verdarb er es, noch fand er es seltsam.
    «Nein, Gewissheit gibt es nicht.» Er trank sein Glas Wein leer und schenkte sich nach. «Aber wer will schon Gewissheit? Wenn jede Morgendämmerung und jeder Sonnenuntergang dieselben wären, warum sollten wir sie dann betrachten?»
    «Mein Onkel sagt», fuhr sie fort, «dass man die Liebe nicht findet, wenn man danach sucht.»
    «Weil wir nicht wissen, wonach wir suchen sollen.»
    «Wissen Sie es?» Ihr Herz schlug so fest, dass sie spürte, wie die goldenen Siegel auf ihrer Brust hüpften.
    Er antwortete mit einem Satz, den sie vor langer Zeit gelesen und schon halb vergessen hatte. «‹Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît pas.›»
    «Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiß. Pascal.»
    Er nickte und lächelte dann. «Sie sind wohl überrascht, dass ein Zigeunerbastard Pascal liest?»
    «Nein!» Doch genau das hatte sie gedacht.
    Er lachte über ihren Widerspruch, dann schwang er sich von der Mauer, nahm das Glas Wein, das er für sie eingeschenkt hatte, und ging um den Globus herum. Er hielt ihr das Glas hin. «Glauben Sie an die Liebe, Madame ?»
    «Ich nehme an.» Jetzt war sie verlegen.
    «Wissen Sie, was sie ist?»
    Schweigend nahm sie das Glas.
    Er sprach leise, und seine Worte waren, trotz ihrer tieferen Bedeutung, voller Humor. «Aber nehmen Sie einmal an, die Liebe käme aus dem Nichts zu Ihnen, aus einer plötzlich dunklen Nacht, würden Sie sie dann erkennen?»
    Sie schaute zu ihm auf. Seine Augen strahlten im Mondlicht. Er deutete ein Lächeln an, das seine wilden Züge weicher machte. Plötzlich wusste sie, warum es ihr so natürlich erschien, hier zu sein: weil er es so natürlich machte. Sie spürte seine Kraft, seine Selbstsicherheit, seine innere Freiheit. Wie viele Stunden hatte sie sich

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