Die dunklen Engel (German Edition)
würden! Tausende!»
«Unsinn.» Sie wandte den Blick von ihm ab. «Die Hecken da müssen gestutzt werden. Ich habe es Wirrell schon letzte Woche gesagt.»
«Lenk nicht ab», sagte Achilles. «Du solltest heiraten, meine liebe Campion. Es ist Zeit, dass du umworben wirst. Dafür sind Frauen doch da! Um verehrt, gestreichelt, angebetet zu werden.»
«Um geliebt zu werden?»
«Jetzt bringst du eitle Vorstellungen ins Spiel.»
«Um zu schmücken?», fragte sie ihn neckend.
«Selbstverständlich», erwiderte er ernst.
Sie waren an dem Rasenstreifen zwischen dem See und dem großen schmiedeeisernen Zaun angelangt, der das Anwesen zur Straße nach Shaftesbury begrenzte. Achilles blieb stehen und blickte über das Wasser. «Herrlich.»
Campion betrachtete die berühmte Ansicht von Lazen, die so oft gezeichnet und gemalt worden war, dass sie gern behauptete, die Staffeleien der Künstler hätten an dieser Stelle für immer ihre Spuren im Rasen hinterlassen.
Von diesem Seeufer aus lag Lazen Castle in seiner ganzen Pracht vor ihnen. Es hatte zwei Jahrhunderte gedauert, um das Schloss zu erbauen, und doch war es wie aus einem Guss. Eigentlich waren es drei Häuser. Zur Rechten lag das Alte Haus mit seiner langen Galerie und den hohen Fenstern, die das graue Tageslicht reflektierten. Das Alte Haus war nur durch eine Brücke im ersten Stock mit dem Großen Haus verbunden. Diese Brücke bildete auch den Portikus, unter dem die Kutschen vorfuhren, die Gäste ins Schloss brachten.
Das Große Haus war mit seinen kannelierten Säulen, die so anmaßend aus der großen Kiesfläche ragten, das höchste Gebäude, überragt nur von dem riesigen Banner von Lazen. Dort, im Großen Haus, lag und litt Campions Vater seit fünfzehn Jahren.
Zur Linken erstreckte sich der niedrigste Teil des Gebäudes, das Gartenhaus, das mit dem Großen Haus durch einen gewundenen Säulengang verbunden war. Campions Vater hatte es als Geschenk für ihre Mutter erbauen lassen, doch jetzt wurde es als Gästeflügel genutzt. Im Gartenhaus hatte Onkel Achilles für die Dauer seines heute endenden Besuches gewohnt.
Campion blickte zu Lazen Castle hinüber, das sich in dem breiten See spiegelte. Mehr als zweihundert Menschen waren dort zu Hause: Stallburschen, Dienstmädchen, Köchinnen, Diener, Postillione, Kellermeister, Näherinnen, unzählige Dienstboten und Dienstmägde – alle lebten auf und von Lazen. Ihre Kinder wurden in der Ortschaft geboren und wuchsen im Schatten des Schlosses auf, ihr Bier wurde im Brauhaus des Schlosses gebraut, ihr Leinen in der Walkerei des Schlosses bearbeitet, ihr Korn in der Mühle des Schlosses gemahlen.
Ihr Onkel musterte sie. «Wirst du des Ganzen nicht manchmal überdrüssig?»
«Niemals!» Wehmütig lächelnd hängte sie sich wieder bei ihm ein und ging langsam weiter. «Wünschst du dir je, dass alles so bleiben möge, wie es ist?» Sie schaute zu ihm auf. «Dass alles einfach anhält?» Sie wies auf das Schloss. «Vielleicht nächsten Sommer? An einem vollkommenen Tag? Dass es einfach für immer so bleibt?» Sie lachte über ihre Spinnerei.
Er blieb stehen, nahm ihr Gesicht in seine langen, schlanken Hände, an denen er widersinnigerweise immer noch den Bischofsring trug, und gab ihr einen feierlichen Kuss auf die Stirn. «Liebe Campion, darf ich etwas Ungehöriges sagen?»
«Onkel?»
«Das ist ein ernstgemeinter Rat.»
«Ach je.» Sie lächelte.
«Es wird Zeit, dass du erwachsen wirst.» Sein schmales, intelligentes Gesicht war außergewöhnlich attraktiv. Er war der klügste und interessanteste Mann, den Campion kannte, und er steckte voller Überraschungen. Die Linien des Alters zeichneten sich fein unter dem Puder auf seinem Gesicht ab. Er lächelte. «Ich habe dich gekränkt.»
«Nein.»
«Vielleicht hätte ich dich kränken sollen.» Er ergriff ihren Arm und flanierte mit ihr weiter. «Lazen gehört dir nicht, meine Liebe. Es wird an Toby und Lucille gehen. Du wirst Lazen verlieren, genau wie ich Auxigny verloren habe. Du musst dein eigenes Leben führen, und je eher du damit beginnst, umso besser. Du solltest nicht hier sein und Zahlenreihen addieren und dir Sorgen um die Ernte machen und wie die Löhne zu zahlen sind. Du solltest in London sein. Du solltest tanzen.»
«Das klingt nicht gerade erwachsen.»
Er ging einige Schritte schweigend neben ihr her. «Erwachsen werden bedeutet, Erfahrungen zu machen. Wie lautet euer Familienmotto?»
«Wage alles.»
«Und du wagst gar nichts! Du
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