Die dunklen Engel (German Edition)
Brief ließ sie aufkeuchen.
Lucille war tot.
Campion war Lucille zweimal begegnet, vor langer Zeit, als es noch möglich war, sicher nach Frankreich zu reisen, und sie erinnerte sich an eine junge Frau von dunkler, fast launiger Schönheit. Sie wusste, wie sehr ihr Bruder Lucille anbetete, und im Herzen empfand sie großes Mitgefühl mit Toby und schrecklichen Zorn über das, was geschehen war.
Sie schaute auf und blickte den Zigeuner an. Toby hatte den Mann in seinem Brief schlicht als Gitan bezeichnet. «Sie wissen, wie sie gestorben ist?»
«Ja, Mylady.» Mrs. Hutchinson, die neben Campion saß und strickte, war des Französischen nicht mächtig, spürte jedoch an ihren Stimmen, dass der Brief keine guten Neuigkeiten enthielt.
Campion runzelte die Stirn. «Wie?»
Die Miene des Zigeuners war fast ausdruckslos. «Es war kein guter Tod, Mylady.»
«Wer war es?»
Er zuckte die Achseln.
Ein seltsamer Emissär, dieser Zigeuner, aus einem Land voller Schatten und Tod. Aber dass er mitten aus den Gräueln kam, die Toby in seinem Brief beschrieb, dass er das Blutbad in den Gefängnissen von Paris gesehen hatte, machte ihn vielleicht noch anziehender.
Campion verdrängte den Gedanken. Sie stand auf, den Brief noch in der Hand, und ging über den langen Teppich der Galerie.
Toby hatte geschrieben, in Paris seien Hunderte gestorben. Der Mob hatte die Gefängnisse gestürmt und die Eingekerkerten niedergemetzelt. Lucille war jedoch nicht im Gefängnis gewesen, sondern im Haus ihrer Eltern außerhalb von Paris. Ein Trupp Männer hatte sie geholt, in die Stadt gebracht und getötet. Campion drehte sich um. «Warum?»
«Meinen Sie, warum sie, Mylady?» Er zuckte die Achseln. «Ich weiß es nicht.»
Lieber Gott, dachte sie, auf Lazen liegt wirklich ein Fluch! Ihre Mutter, ihr Vater, dann ihr Bruder mit seiner Familie und jetzt auch noch Lucille. Sie musste es ihrem Vater sagen. Toby, der nicht gewollt hatte, dass sein Pferdemeister dem betrunkenen Grafen gegenübertrat, hatte Gitan vernünftigerweise angewiesen, den Brief Lady Campion zu übergeben.
Langsam kam sie wieder näher und lauschte dem tröstlichen Klappern von Mrs. Hutchinsons Stricknadeln. «Was ist in Paris geschehen?»
Er berichtete es ihr, ersparte ihr die Einzelheiten, doch selbst in groben Zügen war es eine entsetzliche Geschichte. Er erzählte sie gut, und Campion spürte wieder voller Schuldgefühle, wie sehr sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlte. Sie ärgerte sich darüber, dass er sich als so intelligent erwies. Eine imposante Erscheinung zu sein war eine Sache, und von einem stattlichen Diener beeindruckt zu sein war nichts Ungewöhnliches, aber festzustellen, dass der Mann sich klar auszudrücken verstand und feinsinnig war, machte es ihr umso schwerer, ihrer Faszination nicht nachzugeben.
Sie setzte sich wieder. Toby hatte diesen Mann geschickt, um den Brief nach Lazen zu bringen, und wollte sich dann mit ihm in London treffen. Ihr Bruder kündigte an, nach Lazen zu kommen, jedoch nicht gleich. Sie schaute zu dem schlanken, großen Mann auf. «Wie geht es meinem Bruder?»
Er schien es nicht ungewöhnlich zu finden, dass man ihm, einem Diener, diese Frage stellte. Eine Sekunde dachte er über seine Antwort nach. «Er ist gefährlich zornig, Mylady.»
«Gefährlich?»
«Er möchte den Mörder von Mademoiselle de Fauquemberghes ausfindig machen und ihn töten.»
«Er will zurück nach Frankreich?», fragte sie entsetzt.
«Es scheint die einzige Möglichkeit zu sein, Mylady», erwiderte er trocken.
Sie starrte ihn an und stellte fest, dass sein Gesicht, obwohl es außergewöhnlich markant war, auch mitfühlend wirkte. Ihre Fragen hatte er mit angemessenem Respekt beantwortet, doch in seinem Betragen lag mehr als die Verbindlichkeit eines Dieners. Seine Antworten hatten auch etwas von seinem Charakter verraten, von seiner Unabhängigkeit.
Sie merkte, dass sie einige Sekunden lang in seine blauen Augen geblickt hatte, und um das Schweigen zu überbrücken, richtete sie den Blick wieder auf den Brief und las ihn noch einmal.
Als sie aufschaute, sah sie, dass er sich umgewandt hatte, um das großartige Porträt der Nymphe zu betrachten.
Von allen Gemälden in Lazen war dies ihr Lieblingsbild.
Es stellte die erste Gräfin dar, die den Namen Campion getragen hatte, just in diesem Raum. Ihre Hand ruhte leicht auf dem Tisch, auf den Campion gerade Tobys Brief gelegt hatte. Sir Peter Lely, der Maler, hatte die erste Campion
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