Die dunklen Engel (German Edition)
diesem Zweck gestohlen hatten.
Die Soldaten trugen Musketen, an ihren Gürteln hingen Bajonettscheiden mit Bajonetten, und ihre Füße waren nackt oder steckten in mit Stroh ausgestopften Holzschuhen.
Ein Soldat blieb neben Ababinas Wagen stehen und streckte die Hand nach ihren Papieren aus. Er nahm sie, warf einen Blick darauf und reichte sie zurück. Er konnte nicht lesen.
Dann sah er Campion an. «Sie sind keine Zigeunerin.»
«Doch.»
Er lachte, woraufhin sich zwei seiner Kameraden zu ihm gesellten. Sie riefen die anderen Soldaten herbei, sodass sich bald die ganze Truppe um den vardo versammelte und die Zigeunerin anstarrte, unter deren Kopftuch blondes Haar hervorlugte.
«Willst du Geld, Zigeunerin?»
Sie schwieg.
Langsam schob der Mann die Mündung seiner Muskete unter ihre Röcke und hob sie an. Die Soldaten jubelten, als sie ihre Waden sahen. «Komm, Mädchen! Einen Livre von jedem von uns?»
Sie schwieg.
Die Muskete wanderte höher, schob ihr die Röcke bis übers Knie. Sie stieß sie weg und strich die Röcke wieder glatt. Der Mann packte ihr Handgelenk und zog sie an sich, sodass ihr Gesicht nah an seinem war und sie in seinem Atem Zwiebeln riechen konnte. «Ich biete dir Geld. Wenn du nicht ja sagst, Kleine, dann nehme ich dich so. Also, wie hättest du’s gerne?»
Sie hatte Angst, wusste mit der Situation nicht umzugehen. Eine andere junge Frau, die diese Welt besser kannte, hätte sie mit Lachen und Dreistigkeit abzulenken verstanden. Sie wusste, dass sie ihre Angst spürten, sie hatten ein Opfer gefunden.
Der Soldat zog sie noch mehr zu sich herunter, und weitere Hände reckten sich nach oben, um sie bei den Schultern zu packen und vom Wagen zu zerren. Als sie schrie, lachten die Männer.
«Komm, Schönheit! Wir stehlen dich von den Schweinehunden zurück!»
Halb fiel sie vom Wagensitz, die Soldaten packten sie an beiden Armen und zerrten sie auf ein Haus zu. Eine Hand riss ihr das Kopftuch vom Kopf, und anerkennende Pfiffe wurden laut, als ihr blondes Haar sich im Sonnenlicht löste.
Der Pistolenschuss ließ sie erstarren.
Campion bekam den linken Arm frei.
Mit entsetzter Miene lief ein Offizier auf die Männer zu, während hinter ihm, auf den Stufen des Wachhauses, Skavadale seine Pistole nachlud.
«Lasst sie in Ruhe», schrie der Offizier. «Um Gottes willen! Lasst sie!»
Die Soldaten runzelten die Stirn. Sie war nur eine Zigeunerin, ein Niemand, eine junge Frau, die man sich nehmen konnte, denn die Freiheit dazu verlieh ihnen die Freiheitsuniform.
Der Mann, der ihren linken Arm festhielt – der Mann, der ihr die Röcke gehoben hatte –, zog sie an sich. «Wir haben dem Flittchen Geld geboten!»
«Lasst sie los!»
Der Offizier hatte wenig Autorität über seine Männer, doch hinter ihm kam Skavadale langsam auf die Soldaten zu. Vor seinem Selbstbewusstsein wichen sie zurück. Der Mann ließ ihren rechten Arm los.
Skavadale ging an ihr vorbei, packte den Mann an der Gurgel und schlug ihm zweimal ins Gesicht. «Nun?»
«Mon capitaine?» , wandte der Mann sich an seinen Offizier.
Skavadale schlug ihn noch einmal, fester. «Nun?»
Mit einem bedeutungsschweren Blick warnte der Offizier seine Männer, keine Probleme zu machen.
Skavadale hob den Mann an der Gurgel hoch. Er tat dies ohne sichtliche Mühe, den Blick fest auf die Augen des Mannes gerichtet. Als er ihn fünfzehn Zentimeter über dem Boden hielt, ließ er ihn plötzlich fallen und riss das rechte Knie hoch.
Der Mann schrie, stürzte zu Boden und rollte sich, mit den Händen die Lenden haltend, zusammen.
Skavadale drehte sich um. «Meine Papiere, Capitaine .»
Der Offizier reichte ihm weder einen Pass noch eine Reiseerlaubnis, sondern einen gefalteten Bogen Papier mit einem roten Siegel.
Schweigend schauten die Soldaten zu, wie Skavadale Campion zurück auf den Wagen half. Sie spürten, dass sie Glück gehabt hatten. Die Guillotine arbeitete heutzutage vollkommen ohne Unterschied.
Skavadale ritt neben sie. «Geht es Ihnen gut?»
Campion nickte. Sie war entsetzt und schämte sich, dass sie sich nicht klüger verhalten hatte.
Er lächelte. «Das nächste Mal sagen Sie ihnen, sie wären nicht Manns genug für Sie. Sie würden keine Esel reiten, sondern nur Hengste.»
Ababina lachte. «Du lernst es schon noch, Shukar, du lernst es noch.»
Westlich von Paris nahmen sie Abschied von den Zigeunern. Der Himmel war vom Rauch der Stadt verdunkelt. In der Luft lag ein Frösteln, eine Andeutung, dass der Herbst zu
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