Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
Vom Netzwerk:
berichtete, sie habe einst den König von Frankreich gesehen.
    «Tatsächlich?», fragte Campion.
    «Ja, rawnie . Er war ein Engel und fuhr in einem Triumphwagen aus Feuer und Gold.»
    Später, sehr viel später, ging Campion auf, dass sie Ludwig   XIV. gemeint hatte, der vor achtundsiebzig Jahren gestorben war.
    «Ich war natürlich noch ein Kind», erklärte Ababina, «hatte damals erst einen Säugling.»
    Stundenlang konnte sie merkwürdige und abstruse Geschichten erzählen, auch wenn sicher nicht alle der Wahrheit entsprachen. Einer der Enkelsöhne, ein verdrießlicher Mann mit dunklem Bart, der sich seinen Lebensunterhalt als Scherenschleifer verdiente, hatte im Gesicht, von der Schläfe bis zum Kinn, eine Narbe. Ababina erklärte, er habe sich die Narbe als kleines Kind geholt, als die Kuh, der man ihn zum Säugen angelegt hatte, auf ihn getreten war. Sie lachte über Campions Ungläubigkeit. «Du lernst es schon noch, rawnie , du lernst es noch.»

    Rawnie bedeutete «große Dame». Christopher Skavadale, dessen Ohrring ihn als Anführer der Roma auswies, bestand darauf, dass man sie mit Respekt behandelte.
    Ihre Reisepapiere, die in London gefälscht worden waren, gaben ihren Namen mit Shukar an. Skavadale hatte ihn ausgesucht.
    Von Ababina versuchte sie ein wenig Romani zu lernen, doch die Zeit reichte nur für einige Substantive. Grai bedeutete Pferd, jakel Hund, pal war ein Freund, und ein Mann, der tacho rat besaß, war ein Mann von wahrem Rom-Blut. Für solch einen Mann gehörte es sich nicht, eine gaje , eine Nicht-Zigeunerin, zu heiraten.
    Nachts schlief Christopher Skavadale weit von ihrem Wagen entfernt. Es sei nicht die Art der Roma, sagte Ababina, dass ein Mann und eine Frau vor der Hochzeit ein Bett teilten.
    Campion fragte sie, woher die Zigeuner kamen.
    Die alte Frau zuckte die Achseln. «Wer weiß? Unsere Feinde sagen, Eva habe sich zu Adam gelegt, als er tot war, und wir seien das Ergebnis.»
    Es gingen Geschichten um, die Zigeuner könnten Menschen mit einem Fluch belegen, würden das Feuer beherrschen und blonde Kinder stehlen. Ababina lachte über Campions goldenes Haar. «Die Leute werden denken, wir hätten dich gestohlen.»
    Campion fragte die alte Frau, ob Ababina etwas bedeute.
    «Es bedeutet Zauberin.»
    Campion lächelte. «Und Shukar? Bedeutet das auch etwas?»
    Die alte Frau lachte. «So nennt der Mann seine Frau!» Nur dass Christopher Skavadale nicht ihr Mann war. Er war tacho rat , und sie war gaje . Doch als gaje war sie immerhin besser als die fahrenden Tinker, die sich selbst als Pavee bezeichneten. Tinker waren für Ababina der letzte Dreck.
    Die Roma, entdeckte Campion, waren penibel reinlich. Sie half Ababina, den vardo sauber zu halten, sie half, Kleider in einem Bach zu waschen, und war überrascht, dass Frauenkleider nie zusammen mit Männerkleidern gewaschen wurden. So etwas galt als unsauber. Sie lernte, dass man niemals Schuhe auf den Tisch stellte und nie Weiß trug. Weiß war die Farbe des Todes.
    Untreu zu sein bedeutete, die Strafe zu riskieren, ein Ohr oder eine Hand zu verlieren. Eine Hure zu sein war schmutzig und einer Rom nicht würdig, es war genauso schlimm, wie eine gaje zu sein.
    «Warum hassen die gaje Sie?», fragte Campion.
    «Sie behaupten, wir hätten dem kleinen Jesus die Windeln gestohlen und außerdem die Nägel für sein Kreuz gefertigt.»
    Campion lachte.
    «Sie beneiden uns, weil wir so frei sind», erklärte Ababina lächelnd. «Und sie haben Angst vor uns, weil wir in die Zukunft sehen.»
    «Können Sie wirklich in die Zukunft sehen?»
    Die alte Frau schnalzte mit der Zunge, um ihren Hunden ein Zeichen zu geben. «Jeder Mensch kann in die Zukunft sehen. Man muss nur dem trauen, was man sieht.» Sie schaute nach vorne, wo ein kleines Dorf an der Straße lag, und spuckte auf den Straßenrand. «Soldaten.»

    Christopher Skavadale ritt ein Pferd, das er sich von einem von Ababinas Enkeln geborgt hatte. Er stieg ab und betrat das Wachhaus.
    Die vardos hielten auf der Dorfstraße. Die Dörfler bekreuzigten sich verstohlen; lieber gingen sie das Risiko ein, den Zorn eines Regimes auf sich zu ziehen, das die Religion verachtete, als Gefahr zu laufen, den bösen Blick eines Zigeuners auf sich zu ziehen.
    Langsam schritten die Soldaten, die weniger Angst hatten, die kurze Reihe der Wagen ab und fragten nach Papieren. Sie requirierten die toten Hühner, die seitlich am Wagen hingen, ohne zu wissen, dass die Zigeuner das Geflügel am Morgen genau zu

Weitere Kostenlose Bücher