Die dunklen Engel (German Edition)
Ende ging. Schon seit drei Tagen zogen die Vögel nach Süden, flogen über die vardos und sammelten sich zu großen Scharen in den goldenen Bäumen.
Ababina war die Letzte, die Lebwohl sagte. Sie gab Campion einen Kuss auf beide Wangen. « Ja develesa , Shukar.»
Campion lächelte. «Und das heißt?»
«Geh mit Gott.»
«Und Shukar? Was bedeutet das?»
«Es bedeutet schön», sagte Ababina lachend. «Vergiss eines nicht.»
«Was?»
Die alte Frau blickte zu Skavadale hinüber, der das Pferd zurückgegeben hatte und jetzt auf sie wartete. «Er hat Angst vor dir.»
«Er hat vor nichts Angst!»
«Er hat sich für die gaje- Welt entschieden, Shukar», antwortete Ababina lachend. «Glaubst du wirklich, das macht ihm keine Angst? Er zeigt es nicht, aber in deiner Welt fühlt er sich so fremd wie du in unserer.» Sie zuckte die Achseln. «Es ist seine Entscheidung.»
Sie gab der alten Frau einen Kuss. «Vielen Dank für alles.»
« Ja develesa, rawnie, und ich glaube, das tust du.»
Was Campion in Paris als Erstes auffiel, war die Kleidung der Leute. Es sei gefährlich, erklärte Skavadale ihr, seinen Wohlstand zur Schau zu stellen, also hüllten sich die Bewohner von Paris, selbst die, die Geld hätten, in ein schützendes Kostüm aus schmutzigen Lumpen. Die meisten trugen blauweiß-rote Rosetten, ähnlich der, die Skavadale an Campions Schal gesteckt hatte.
Die Häuser waren mit patriotischen Bannern in strahlenden Farben geschmückt, deren Losungen verkündeten, der Tod sei dem Verlust der Freiheit vorzuziehen. Doch auf den Türen der Häuser waren die Namen der Bewohner vermerkt, sodass die Soldaten diejenigen leichter fanden, die sich ohne Erlaubnis in Paris aufhielten.
Skavadale brachte sie in die Sektion Bonnet Rouge und schickte sie die Treppe hinauf zum Revolutionskomitee. «Bitten Sie um eine Erlaubnis, in dieser Sektion zu nächtigen.»
«Kommen Sie nicht mit?»
«Ich folge gleich.» Er lächelte. «Sie sind in Sicherheit.»
Acht Männer saßen an einem Tisch. Sie schienen den ganzen Tag in diesem Raum zu verbringen, dessen Wände mit Plakaten behängt waren, auf denen die Welt zur Revolution aufgerufen wurde. Der Tisch war überhäuft mit halb aufgegessenem Essen, Weinflaschen, Würfeln und Spielkarten. Frauen kochten in einer Küche nebenan, ihr Lachen war laut, und auf ihren Köpfen prangten die roten Jakobinermützen.
Die Männer starrten sie an.
Einer nahm ihre Papiere entgegen. Er warf einen Blick auf ihren Pass, runzelte eine ganze Weile über dem gefälschten Bürgerzeugnis, dem certificat de civisme , die Stirn, das in diesem Zeitalter der Freiheit ihre revolutionäre Gesinnung garantierte. Er rümpfte die Nase. Der Raum summte vor Fliegen.
Ein anderer betrachtete sie von oben bis unten. «Warum bist du in Paris?»
«Um Arbeit zu suchen.»
Darüber mussten sie lachen. «Du könntest ein Vermögen verdienen, ohne das Bett zu verlassen, ma poule !»
Sie lächelte.
Skavadale hatte unten eine Flasche Apfelschnaps gekauft. Jetzt stand er im Schatten vor dem Raum des Komitees. Seine Stimme erschreckte sie. «Sie ist keine Zigeunerin.»
Sie spürte, wie Panik sie durchfuhr.
Die Männer, die diese Sektion von Paris regierten, starrten sie an.
Skavadale sprach wieder. «Sie ist eine englische Aristokratin.»
Alle blickten auf den Schatten an der Tür, und sie spürte, wie sich ihr Magen in flüssige Angst verwandelte.
Plötzlich dröhnte einer der Männer ein lautes Willkommen. «Gitan!» Gelächter brach aus.
Einem nach dem anderen schüttelte Skavadale ihnen die Hand. «Du wirst dick, Michel.» Dabei boxte er dem Mann freundlich in den Bauch. Er hatte ein Wort für jeden im Raum, kannte ihre Spitznamen und setzte sich fröhlich zu ihnen und bot ihnen seinen Schnaps als Geschenk an. Mit dem Kopf wies er auf Campion. «Wir brauchen eine Unterkunft.»
«Nur ein Zimmer, was?» Einer der Männer lachte. «Du bist ein Glückspilz, Gitan!»
Skavadale grinste. Er klopfte auf den Stuhl neben sich, und Campion setzte sich. Sie kritzelten die Erlaubnis, die sie brauchte, und schoben sie ihr hin.
Der Mann, der Michel hieß, grinste sie an. «Du ziehst mich sicher vor, Zigeunermädchen! Ich bin ein Mann von Gewicht!»
Sie nahm den Schnaps, den Skavadale ihr reichte. Innerlich war ihr immer noch übel vor Angst, doch sie zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. «Ich reite keine Esel, nur Hengste.»
Sie lachten. Sie war in Paris.
In dieser Nacht lag sie unter einem offenen Fenster und sah zu,
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