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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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versuchen, sich durch Blut und Feuer zu läutern. Nun war sie hier, wo diese Läuterung stattfand, wo Menschen geköpft wurden, weil sie die Meinung geäußert hatten, die Revolution sei ein Fehler gewesen.
    Sie hörte die Maschine. Der dumpfe Aufprall schien ihr mitten durch die Seele zu fahren.
    Überall stank es nach Blut.
    Alles geschah so beiläufig. Die Menschen überquerten den Platz und gingen ihren Geschäften nach, ohne einen Blick auf die Guillotine zu werfen. Der Tod war so gewöhnlich geworden, dass er keines Blickes würdig war.
    Er war beiläufig, doch er war schrecklich effizient. Niemand entfloh, denn es gab keine Zeit, eine Flucht zu organisieren. Wer an diesem Tag verhaftet wurde, stand am nächsten Morgen vor Gericht, wurde für schuldig befunden und innerhalb von drei Stunden zur Guillotine geführt. Niemand entkam.
    Wieder wurde Beifall laut.
    Einem Gefangenen war es nicht erlaubt, sich zu verteidigen, und die Anklagevertretung musste keine Beweise vorlegen. Bezichtigt zu werden genügte. Die Anwälte, die diese Revolution beherrschten, bestanden darauf, dass eine Verteidigung die Sache nur verwirrte. Revolutionäre Tugendhaftigkeit, sagten sie, sei der Garant für Gerechtigkeit.
    Campion betrachtete die Menschenmenge, sah ihre Gesichter und überlegte, ob sie sich auch die Bewohner der Ortschaft von Lazen so unter einem hohen Rahmen vorstellen könnte, der ein angeschrägtes Fallbeil hielt. Sie kam zu dem Schluss, dass die Gesichter einander ähnelten. Kleine Kinder, von der Maschine gelangweilt, jagten Tauben über das Pflaster, Liebende hielten sich bei der Hand, Menschen lachten.
    Ein Mann stieg die Stufen hinauf. Er drehte sich um und rief dem Gefangenen hinter sich fröhliche Worte zu. Dann wurde er bei den Armen gepackt und nach vorne gestoßen. Campion klammerte sich an Skavadale und knirschte mit den Zähnen, während sie zusah, wie der Mann mit der roten Schürze die obere Lünette hinunterschob, zurücktrat und das Seil löste.
    Diesmal zwang sie sich zuzusehen.
    Das Fallbeil war blutbefleckt.
    Den ersten halben Meter fiel es langsam, dann hörte man es, Campion hielt die Luft an, und es krachte herunter, und sie sah die rote Fontäne, die den Beifall hervorrief. Der Scharfrichter zog das Fallbeil nach oben, während seine Gehilfen, von denen einer immer noch die Rose im Mund hatte, die Leiche losbanden und hochhoben. Blut lief über das schräge Beil, sammelte sich, tropfte hinunter.
    O Gott. Sie atmete aus.
    Sie nannten es in den Sack niesen. Der Mann, der jetzt die Stufen hinaufstieg, dicht hinter dem, der gerade gestorben war, würde wohl auf dem Brett liegend nur wenige Zentimeter vor sich die abgetrennten Köpfe der Männer und Frauen sehen, die einen Augenblick zuvor noch seine Gefährten gewesen waren, während ihre tote Augen nun auf das Gewebe des Sacks blickten, ähnlich wie Fische in einem Fischkorb.
    Bei dem Gedanken musste sie das Gesicht in Skavadales schwarzem Mantel verbergen. Ein weiteres Mal hörte sie das Fallbeil hinuntersausen.
    Er tätschelte ihr die Schulter. «Sie dürfen es nicht zeigen! Das ist gefährlich! Sie können durch die Maschine sterben, einzig weil Ihnen nicht gefällt, was sie tut.»
    Also zwang sie sich hinzusehen.
    Der Scharfrichter hatte das Fallbeil festgebunden, sodass es gut einen halben Meter über der Lünette hing. Rittlings setzte er sich auf die Bohle, auf der die Opfer festgeschnallt wurden, wischte das Blut vom Rand des Fallbeils, langte dann in die Tasche seiner schwarzen Hose und holte einen Wetzstein heraus. Campion hörte das vertraute Geräusch von Stahl, der geschärft wurde, ein vernehmliches, schabendes Geräusch, das sie an zu Hause erinnerte. Christopher Skavadale hielt sie noch an den Schultern fest. «Er nimmt das Fallbeil mit nach Hause.»
    Sie runzelte die Stirn, denn sie verstand nicht, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte.
    Er lächelte sie an. «Sonst würden die Leute nachts herkommen und sich selbst umbringen.»
    «Nein!»
    Er nickte. «Doch. Haben Sie genug gesehen?»
    «Zu viel!»
    Er führte sie fort. Hinter sich hörte sie das schabende Rattern und den dumpfen Aufschlag. Auch sie hatte sich in diesen wenigen Augenblicken an den Tod gewöhnt. Sie sah Skavadale an. «Warum wollten Sie, dass ich zusehe?»
    Einige Schritte lang sagte er nichts, dann zuckte er die Achseln. «Es geschieht. Man kann es nicht ignorieren.»
    Sie wusste nicht recht, ob die Antwort sie befriedigte. «Aber Sie haben mich gezwungen

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