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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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schönen jungen Frau, der Schwester seines Herrn, so ähnlich.
    Er dachte an den dicken Jean Brissot. Wie gern hätten die Pariser diese junge Frau in die Hände gekriegt. Lächelnd tätschelte er seinem Pferd den Hals. Vor allem Bertrand Marchenoir hätte sie gewollt. Der ehemalige Geistliche, der sich so gut darauf verstand, den Pöbel aufzuhetzen, und der Paris ins Blutvergießen geführt hatte, war bekannt für seinen Umgang mit den Töchtern der gestürzten Aristokratie. Für Marchenoir wäre es ein zusätzliches Vergnügen, dass dieses liebliche Geschöpf mütterlicherseits von den verhassten d’Auxignys abstammte. Gitan lachte über den Gedanken.
    Kalt blies der Wind den Regen aus dem Westen, während Mann und Pferd durch die braunen, nassen Wälder des englischen Herbstes ritten. Auf einer Lichtung auf dem Bergrücken blieb er stehen, drehte sich im Sattel um und betrachtete das herrschaftliche Anwesen, das jetzt unter ihm lag. Es war ein sehr schönes Haus. Es war auch, obwohl es noch nichts davon wusste, ein Haus im Belagerungszustand. Der Zigeuner schnalzte mit der Zunge und ritt weiter.

3
    «Wie heißt du?»
    Die Antwort kam von einem Mann, der allein mitten auf einem vertieft angelegten marmornen Fußboden stand. Der Mann war nackt.
    Der Raum war von einem Kreis von Kerzen hell erleuchtet, Hunderte von Flammen spiegelten sich in dem polierten Marmor, dem Silber und in den Spiegeln, die den Schatten des Mannes hundertfach wie eine feinziselierte Krone zurückwarfen, die von seinen nackten Füßen ausstrahlte. Der Raum war kreisrund, und hoch über dem Kopf des nackten Mannes schimmerten an der Kuppeldecke goldene Mosaike. Es war ein verschwenderisch gestalteter Raum, eines Kaisers oder einer großen Hure würdig.
    Der Fragende sprach wieder. Er war nicht zu sehen, und seine Stimme, ein heiseres Flüstern, das doch den ganzen Raum erfüllte, schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen. «Was ist dein Begehren?»
    «Mich euch anzuschließen.»
    «Was gibt Licht?»
    «Die Vernunft.»
    «Was gibt Dunkelheit?»
    «Gott.»
    «Wie verstehst du das?»
    «Mit der Vernunft.»
    «Wie heißt du?»
    Der nackte Mann antwortete laut und deutlich, und seine Worte hallten in dem prächtigen Raum wider.
    Eine weitere Stimme, auch sie nur ein Flüstern, hallte geheimnisvoll durch die große Kammer. «Was schützt die Schwachen?»
    «Das Gesetz.»
    «Was steht über dem Gesetz?»
    «Die Vernunft.»
    «Wie heißt du?»
    Der große, muskulöse Mann antwortete. Er stand ganz still. Seine Nacktheit schien ihm nicht unangenehm zu sein.
    Eine dritte Stimme flüsterte: «Was ist der Tod?»
    «Nichts.»
    Stille.
    Vollständige, allumfassende Stille. An diesem ungewöhnlichen Ort öffneten sich keine Fenster zur Welt da draußen. Die Türen, durch die der nackte Mann eingetreten war, waren aus Bronze, und diese Türen waren so schwer, dass er seine ganze Kraft hatte aufbieten müssen, um sie vor der Nacht zu schließen.
    Draußen war Oktober. In diesem Raum konnte es jede Jahreszeit, jede Stunde, jedes Jahr sein.
    Eine Stimme flüsterte: «Tötet ihn.»
    Wieder Stille.
    Damit hatte der Mann gerechnet, ja, er spürte eine aufsteigende Angst in sich. Mit unbeweglichem Gesicht stand er da, während er taxiert wurde.
    «Warum bist du hergekommen?»
    «Um euch zu dienen.»
    «Wem dienen wir?»
    «Der Vernunft.»
    «Welche Grenzen hat die Vernunft?»
    «Keine.»
    «Tötet ihn.»
    «Tötet ihn.»
    Die dritte Stimme war nicht zu hören.
    In Europa wimmelte es von Geheimgesellschaften. Die meisten imitierten die Freimaurer, und alle boten einem Mann den heimlichen Stolz, einer privilegierten Gruppe anzugehören. Einige, wie die Rosati, waren harmlos, hatten sich der Poesie und dem Wein verschrieben, wohingegen andere, wie die Illuminaten, finsterere Absichten hegten. Doch die Zusammenkunft in dieser seltsamen marmornen Halle, die wie ein Mausoleum war, das auf seine Toten wartet, war eine Geheimgesellschaft innerhalb einer Geheimgesellschaft. Dies waren die Gefallenen Engel der Illuminaten.
    Die Illuminaten kamen aus Deutschland, wo Fürsten und Herzöge die Bewegung mit Härte verfolgt und südwärts nach Frankreich getrieben hatten. Dort hatten die «Erleuchteten» im Aufruhr der Revolution eine neue Heimat gefunden. Es hieß, dass mehr als die Hälfte der Revolutionsführer dem Illuminatenorden angehöre und die Revolution nicht in politischen Versammlungen geplant worden sei, sondern in den geheimen Hallen des Illuminatenordens. Es

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