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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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Toby konnte über den Köpfen der Menge die schimmernden Bajonette sehen.
    Thérèse schaute sich um. «Ich sehe Gitan nicht.»
    «Geduld.» Toby staunte, dass die Mädchen dem Zigeuner so treu waren. Diese junge Frau hier hatte Gitan seit dem vergangenen Herbst nicht gesehen, und doch lief sie rot an, wenn sein Name erwähnt wurde. Um sie von dem Zigeuner abzulenken, kaufte er bei einem der vielen Straßenhändler für sie beide petits pains . Das Brot schmeckte nach Sägemehl. «Siehst du Brissot?»
    Die Soldaten bahnten sich einen Weg durch die Menschenmenge und hielten ihn mit ihren stahlbewehrten Musketen frei. Als Kavallerie ritten zerlumpte Männer mit Krummsäbeln klappernd den freigeräumten Weg hinunter und stellten sich neben der Maschine auf. Ihr Podest war so hoch, dass die Menschenmenge über die Pferde hinweg etwas sehen konnte. Alle warteten gebannt.
    Thérèse machte sich Sorgen. «Er findet uns nie!»
    «Er hat zu mir gesagt, wenn er nicht durch die Menschenmenge hindurchkäme, würden wir uns an der Brücke treffen.» Toby runzelte die Stirn. «Aber vielleicht kommt er auch erst morgen!»
    Niemand konnte jetzt noch hoffen, durch die gewaltige Menschenmenge zu gelangen, die jeden Zoll des riesigen Platzes füllte. Selbst die Straßenhändler hatten es aufgegeben. Dichtgedrängt und erwartungsvoll harrten die Menschen aus. Ihre Stimmen vereinigten sich zu einem gewaltigen, geschäftigen Summen, durchbrochen von gelegentlichem Gelächter oder dem Weinen eines Kindes. Der Regen fiel. Die Tauben stolzierten auf der hohen Maschine auf und ab, als verwirrten sie der Lärm und die große Menschenmenge, die sich in alle Richtungen erstreckte.
    Dann kehrte eine seltsame Stille ein.
    Wie auf Kommando erstarben die Gespräche. Köpfe wandten sich zur nördlichen Ecke des Platzes.
    «Brissot», flüsterte Thérèse und schubste ihn. «Da!»
    «Wo?»
    «Da! Der Mann mit der Flasche!»
    Toby sah einen langhaarigen, dicklichen Mann, der eine schwarze Flasche an die Lippen hob, dann verbarg die Bewegung eines zerfetzten Regenschirms den Mann.
    Über die Köpfe der Menschenmenge konnte er die Dächer der Kutschen sehen, die erste war eine dunkelgrüne, die vom Regen glänzte. Im Gedränge wurde es warm. Thérèse hatte einen Arm um seine Hüfte gelegt.
    Toby reckte sich auf die Zehenspitzen und verdrehte den Hals, bis er den fetten, grinsenden Brissot wieder im Blick hatte. Sein Anblick und der Gedanke, dass dieses Schwein seine Lucille vergewaltigt hatte, weckte in ihm einen entsetzlichen Zorn. Er schob die Hand unter seinen zerlumpten, mit einem Seil zusammengebundenen Mantel und tastete nach dem Griff des Messers, das er am Körper trug.
    Von der Prozession, die sich der Maschine näherte, klangen Trommeln herüber, deren Schlagfelle vom Regen durchweicht waren. Doch die Trommler hatten die Anweisung, so lange weiterzumachen, bis alles vorüber war, und trommelten energisch.
    Die Kutschen blieben stehen. Von seinem Platz aus konnte Toby nicht sehen, was nun geschah. Er konnte nicht sehen, wie ein blasser, dicker Mann aus der grünen Kutsche stieg, dem man seinen braunen Mantel und den Hut abnahm, sah nicht, wie man ihm mit einer Schere zuerst den Kragen seines weißen Hemds abschnitt und dann das lange Haar in seinem weißen, dicken Nacken.
    Er sah den Priester nicht, der, wie es das Gesetz verlangte, in weltlicher Tracht gekleidet war und vor der feindselig schweigenden Menge seine Gebete murmelte.
    Er sah jedoch, wie der Mann die hölzerne Treppe zu dem Podest hinaufstieg, wo drei Männer auf ihn warteten. Der Priester, dessen Buch vom Regen durchweicht wurde, folgte ihm.
    Man band dem Mann seine fleischigen, blassen Arme hinter dem Rücken zusammen, verschnürte sie vom Handgelenk bis zum Ellbogen, sodass die Schultern unnatürlich nach hinten gezogen wurden.
    Als der dicke Mann in Sicht kam, ging eine Art Seufzen durch die Menschenmenge. Thérèse, die Zunge zwischen den Lippen, stellte sich auf die Zehenspitzen, eine Hand auf Tobys Schulter. Ihre Augen strahlten. Wenigstens für einen Augenblick hatte sie den Zigeuner vergessen.
    Der Mann trat an den Rand der Tribüne. Toby sah seinen breiten, weißen Hals, sein Doppelkinn und seine dicklichen, schlaffen Lippen. Der Mann begann zu sprechen, und wie durch ein Wunder hörten die Trommler auf zu schlagen. Toby runzelte die Stirn, als er versuchte, die Worte des Mannes zu verstehen.
    «Ich bete zu Gott, dass das Blut, das Sie vergießen werden, nie über

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