Die dunklen Engel (German Edition)
Frankreich kommen möge …», und dann trug der Wind die nächsten Worte des dicken Mannes fort. Jemand an der Maschine schrie wütend etwas, und schuldbewusst schlugen die Trommler wieder auf ihre durchweichten Schlagfelle, und der Lärm, der sich erhob, übertönte die Worte des Mannes.
«Fetter Scheißkerl», sagte Thérèse.
Die drei Männer, die auf der hölzernen Tribüne gewartet hatten, der Scharfrichter und seine zwei Gehilfen, traten auf den Mann zu. Ein Gehilfe packte ihn am linken Oberarm, der andere am rechten, und sie führten ihn nach vorne zu dem aufrecht stehenden Brett.
Die beiden Gehilfen banden ihn fest und kippten das Brett in die Waagerechte, sodass sein Kopf zwischen den senkrechten Pfosten hervorragte. Dann schob der Henker die obere Lünette nach unten, die den Hals des Mannes unter dem Fallbeil fixierte.
Die Gehilfen traten zurück.
Der Priester kniete sich hin und schlug das Kreuzzeichen. Die Trommler, deren Handgelenke langsam müde wurden, ließen ihre Stöcke weiter tanzen. Die Menschenmenge schien den Atem anzuhalten.
Der Henker trat an das gespannte Seil. Er löste es, wobei Wassertropfen von dem gedrehten Hanf sprangen, dann ließ er es los.
Das Fallbeil scharrte in den Kerben. Das Seil wurde von dem schweren Stahl hochgerissen und tanzte schlängelnd aufwärts.
Der Mann schrie.
Der Schrei endete nicht. Das Beil war gefallen, doch sämtliche Experimente mit Schafen und Wahnsinnigen hatten einen so dicken, fleischigen Hals nicht berücksichtigt.
Kläglich und schrill klang der Schrei über das schwächer werdende Trommeln. Niemand in der großen Menschenmenge sprach oder jubelte, während der Schrei laut und dann leiser über die Köpfe klang, schluchzte und verebbte. Der Henker, von dem schrecklichen Schrei aufgeschreckt, riss an dem Seil und zog das große Fallbeil ruckartig wieder nach oben.
Der Schrei wurde leiser. Das Blut an dem breiten Fallbeil tropfte, vom Regen verdünnt, blass über das schräge Beil. Der Scharfrichter zog noch einmal, trat zurück, und das Seil schlängelte sich wieder hinauf.
Das Fallbeil gewann an Geschwindigkeit, zischte, rasselte hinunter, und der dicke Mann nieste in den Sack, der Kopf ruckte hoch, und ein dumpfer Schlag war zu hören, als das Beil den Hals durchtrennte und eine Fontäne strahlend roten Bluts auf den knienden Priester schoss.
Schweigen.
Toby hatte das Gefühl, die ganze Menschenmenge hielte die Luft an.
Und dann kam der Jubel. Ein Jubel, der zwischen den eleganten Fassaden des großen Platzes dröhnte wie das Donnern eines gewaltigen Meeres. Ein Jubel, der Frankreich verkündete, dass der König tot war, dass die Tyrannei aufs Schafott gekommen war, dass die Republik ihre letzten Verbindungen zur Vergangenheit durchtrennt hatte.
Ludwig XVI. war tot. Aufgeschreckte Tauben umkreisten den Platz. Ein Soldat sprang auf das Schafott und hielt den Kopf des Toten an den Haaren hoch. Er rieb ihn gegen seine Hose, um das spöttische Lachen der Menschenmenge zu provozieren.
Der Priester, dessen Kleider mit dem Blut des Königs besudelt waren, tauchte in der Menschenmenge unter, die noch zögerte, sich wieder dem kalten, hungrigen Elend des Winters zuzuwenden.
Doch allmählich zerstreuten sich die Menschen.
Toby hatte Mühe, in Jean Brissots Nähe zu bleiben, denn er musste sich gegen den Strom vorkämpfen. Thérèse, die sich an seinen Umhang aus Sackleinen klammerte, wollte den Zigeuner finden, und Toby schlug vor, sie solle an der Brücke im Süden des Platzes warten. «Er hat gesagt, dort würden wir uns treffen.»
«Und wenn er nicht da ist?»
«Dann treffen wir uns heute Abend bei Laval!»
Er sah ihr nach und schob sich dann durch die Menge näher an den dicken Mann heran, der unter das hölzerne Schafott getreten war, um den Finger in das Blut des Königs zu tunken.
Von da an hielt Toby sich dicht bei Jean Brissot. Er folgte ihm durch die Gassen, blieb an seine Fersen geheftet, bis der fette, laute Mann einen dunklen Hof betrat, um sich von dem Wein, mit dem er den Tod des Monarchen gefeiert hatte, zu erleichtern.
Verglichen mit Ludwig XVI. hatte Jean Brissot Glück. Ihm blieb wenig Zeit, über seinen Tod nachzudenken. Mit Entsetzen hatte er gehört, wie der rothaarige Mann von einer längst toten jungen Frau sprach, ein Entsetzen, das sich in Panik verwandelte, als er versuchte, wegzulaufen und um Hilfe zu rufen. Doch Toby stellte ihm ein Bein, riss ihn herum, stellte sich mit gespreizten Beinen über ihn und
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