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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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Place de la Révolution näherte, entdeckte er in der Menschenmenge die junge Frau, die er am Abend zuvor kennengelernt hatte; ein schwarzhaariges Mädchen mit munteren Augen. Als sie Gitans Namen hörte, hatte sie sich neben Toby gedrängt und ihn nach dem Verbleib des Zigeuners gefragt.
    Sobald sie Toby sah, fragte sie ihn mit eifriger Stimme: «Hast du ihn gefunden?»
    «Noch nicht.» Er hatte sie angelogen, als er ihr gegenüber behauptet hatte, er sei in Paris, um den Zigeuner zu treffen.
    Sie hielt mit ihm Schritt. «Er kommt aber?»
    «Er hat’s versprochen.» Toby grinste sie an. «Bin ich dir nicht gut genug?»
    Sie zog einen Flunsch, hakte sich aber trotzdem bei ihm unter. «Er kommt aber doch?», beharrte sie.
    Er nickte. «Er hat gesagt, er würde sich hier mit mir treffen. Wenn nicht heute, dann morgen. Entweder mit mir oder mit Jean Brissot.»
    Toby war zu Laval gegangen, um den fetten Brissot zu finden, der damit geprahlt hatte, Lucille de Fauquemberghes’ Haut sei wie Milch gewesen. Doch der Mann war nicht in der Schenke gewesen. Thérèse, die sich sicher war, dass er auf der Place de la Révolution sein würde, hatte Toby versprochen, sich mit ihm zu treffen und ihm Brissot zu zeigen.
    Als sie sich jetzt in der großen Menschenmenge nach Westen bewegten, schaute sie zu dem großen, rothaarigen Mann auf. «Warum willst du Jean kennenlernen?»
    «Ich hab’s dir doch gesagt. Geschäfte.»
    «Was für Geschäfte?»
    Toby zuckte die Achseln. «Gitans Geschäfte.»
    Die Antwort stellte sie zufrieden. Der Zigeuner, schien es, konnte überhaupt nichts falsch machen. Toby musste nur seinen Namen erwähnen, und schon lächelte sie. Sie blieb stehen, um einen beinlosen Bettler vorbeizulassen, der sich auf muskulösen Armen vorwärtsschwang. «Ich hasse Brissot. Er ist ein Schwein mit Händen.»
    «Händen?»
    «Händen überall. Immer heißt es Thérèse hier und Thérèse da, und seine Hände sind überall auf dir, drücken und kneifen. Er ist ein Schwein!»
    Ein Schwein, dachte Toby, das meine Lucille vergewaltigt hat. Er lächelte die junge Frau neben sich an. «Du findest ihn für mich.»
    Sie schien zufrieden, mit Toby zusammen zu sein und das Stadtmädchen zu spielen, das dem Landjungen die Sehenswürdigkeiten von Paris zeigte. Keine von ihnen war so beeindruckend wie die große Maschine, die mitten auf der Place de la Révolution errichtet worden war.
    Wenn es im neuen Frankreich ein Symbol der Gleichheit gab, dann sicher diese Maschine.
    In den alten Tagen hatten nur die Adligen die rasche Hinrichtung durch eine flinke Axt erwarten dürfen. Die einfachen Leute hatten so viel Glück nicht. Sie wurden verbrannt, gehängt, bekamen den Bauch aufgeschlitzt oder wurden auf andere langsame, phantasievolle Arten getötet, die die Menge belustigten. Doch heute war das Zeitalter der Gleichheit, und jetzt starben alle verurteilten Männer und Frauen auf dieselbe privilegierte Art und Weise. Sie verloren ihren Kopf, und sie verloren ihn schnell.
    Die Maschine war keine französische Erfindung. Sie war in England, Frankreich und Deutschland benutzt worden, doch der französische Genius hatte sie verfeinert. Dr.   Joseph Guillotin, Mitglied der Nationalversammlung, hatte die Übernahme der Maschine empfohlen, und unter der Aufsicht von Ärzten wurde ihre Funktionsweise durch Experimente mit lebenden Schafen und toten Geisteskranken verbessert. Jetzt stand sie da, massig und hoch aufragend, ein Produkt von Gleichheit und Wissenschaft.
    Arm in Arm näherten sich Thérèse und Toby der großen Maschine. Das schräge Fallbeil, auf dem Wassertropfen schimmerten, wurde von einem straffen Seil oben zwischen den beiden senkrechten Balken gehalten. Das Querholz über dem Fallbeil hatten die Tauben, die sich dort gegen den Regen zusammenkauerten, geweißt.
    Thérèse leckte sich die Lippen und starrte die Maschine an. «Hast du schon mal eine gesehen?»
    Er schüttelte den Kopf.
    Sie lachte. «In den Sack niesen.»
    So nannten die Menschen von Paris den Tod, den diese Maschine bereitete. Das Geräusch des herabfallenden Beils klang wie ein Niesen, und die Bewegung des Kopfes, der hochruckte, wenn das Fallbeil mit Wucht auftraf, und dann brutal nach unten schoss, wenn es den Hals durchtrennt hatte, war auch dieselbe wie beim Niesen. Toby lachte. «Niesen?»
    «Ha … tschi.»
    Die Menschenmenge schob sie von der Maschine weg. Pausenlos fiel der Regen. Von links hörten sie Stiefelgetrampel auf den Pflastersteinen, und

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