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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Erfolg einem Recht gab. Ihren Gesten und Worten haftete diese Leichtigkeit an, die aus Selbstbewusstsein geboren ist. Nicht aufgesetztem Stolz, sondern echter Souveränität.
    „Darf ich Ihnen ein Menü empfehlen?“, fragte sie.
    Er lächelte schief.
    „Der Zichoriensalat ist ziemlich gut und“, sie blätterte eine Seite um, „danach der Seeteufel mit Pflaumen. Oder die Lammkrone, wenn Sie Lamm mögen.“
    „Sind Sie oft in diesem Restaurant?“
    „Hin und wieder.“ Sie hob leicht ihr Glas an. „Sollen wir anstoßen?“
    „Danke für die Einladung. Es ist sehr schön hier.“
    Der Kellner nahm ihre Bestellungen auf. Sie schwiegen einen Moment.
    „Wo haben Sie das gelernt?“, fragte Martha.
    „Was?“
    „So zu malen.“
    „Übung“, entgegnete er leichthin. „Wo werden Sie es aufhängen, wenn es fertig ist?“
    „In meinem Büro gibt es eine riesige weiße Wand.“
    „Wie sieht Ihr Büro aus?“
    „Hell.“ Sie zögerte. „Groß. Ich habe Schiffsparkett verlegen lassen. Mein Mann hat mir einen alten Schreibtisch geschenkt. Jugendstil, mit einer Schreibfläche aus Leder.“
    „Sie sind verheiratet?“ Er versuchte nicht, seine Überraschung zu verbergen. Martha, hart und scharf geschliffen, wirkte einfach nicht wie jemand, der sein Leben mit einem anderen Menschen teilte. Aus irgendeinem Grund hatte er sie sich als Einzelkämpferin vorgestellt, als einsam aufragenden Fels in einer stürmischen Bucht.
    „Weil ich keinen Ring trage?“ Martha machte eine kleine Handbewegung, der etwas Abschätziges anhaftete. Sie schüttelte den Kopf, und Henryk sah, dass sie nichts weiter sagen wollte.
     
     
     
    Es war nach Mitternacht, als Martha ihn am Atelier absetzte. Sie berührte ihn leicht mit der Hand am Arm.
    „Danke, dass Sie mitgekommen sind.“
    „Nein“, Henryk schüttelte den Kopf, „ich muss mich bedanken. Für die Einladung.“ Sein Akzent drängte an die Oberfläche.
    Er öffnete den Wagenschlag und setzte einen Fuß in den Schnee. Hinter ihnen blendeten die Scheinwerfer eines anderen Autos auf. Martha legte ihre Hand zurück ans Lenkrad.
    „Gute Nacht!“, rief sie ihm nach.
    Henryk wartete, bis ihr Wagen an der nächsten Kreuzung abbog. Schneeflocken trafen sein Gesicht. Er fror nicht, obwohl sein Atem in der Kälte kristallisierte.
    Ein Schleier aus Wärme und Wein wogte um seinen Körper. Er fühlte sich wie ein Traumwandler. Während er den Hof überquerte, betrachtete er seinen Schatten, der ihm tiefblau vorauseilte. Im Dunkeln erklomm er die Treppenstufen, schloss seine Tür auf und trat ein.
    Das Blumenmädchen lag halb im Dunkel. Laternenlicht fiel durch die Fenster. Henryk berührte die Leinwand, um zu prüfen, wie weit die Trocknung fortgeschritten war.
    Seltsam, er glaubte immer noch, Marthas Finger an seinem Arm zu spüren. Eine leichte Berührung, Schmetterlingsflügel.
    Er schaltete die Lampe ein und betrachtete das Gemälde. Das Gesicht der Frau war nicht ausgeformt, es lag noch in flachem Grau. In seinem Kopf formte sich eine Idee, eine plötzliche Inspiration, die ihn zum Lächeln brachte.
    Er drückte etwas Schwarz und Weiß auf die Palette.
    Rasch tauchte er den Pinsel in die Farben und verwob sie zu einem Teppich aus Hell-Dunkel-Nuancen. Mit ausgestrecktem Arm begann er zu malen. Er formte eine schmale Nase, darüber die Augenbrauen. Die Wangen konturierte er, so dass sie an Schärfe gewannen.
    Es ging ihm leicht von der Hand. Er malte, trat zurück, korrigierte mit kleinen Strichen. Kritisch musterte er einen Schatten, die Form ihrer Augenlider.
    Als schließlich der Morgen graute und die Wirkung des Weins sich verloren hatte, sah er, dass der Entwurf gelungen war. Nüchtern schaute er sie an. Ihr Gesicht, im Halbprofil, lag zwischen Schatten und Licht, den Blick auf die Blumen gerichtet. Die Lippen, schmal und scharf gezeichnet, zeugten von Konzentration.
    Sie war es. 
    Oder vielmehr eine dreihundert Jahre alte Ausgabe ihrer selbst.
     

8
     
     
     
    Am nächsten Tag fischte er die Galenitklumpen aus der Essiglake. Die Steine waren bedeckt mit einer brüchigen weißen Schicht.
    Er ließ sie auf einem Gitter abtropfen und öffnete das Päckchen, das am Morgen gekommen war und das er sehnlich erwartet hatte. Als er den Deckel aufklappte, quoll ihm Holzwolle entgegen. Darin eingebettet lagen Glasfläschchen. Er hob eine heraus, halb gefüllt mit einem goldgelben Pulver, und schüttelte sie gegen das Licht.
    Das Etikett sah aus wie die handgemalten Beschriftungen

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