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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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lernte.“
    „Tut mir leid“, murmelte er. „Aber Sie sehen wirklich ... ach, vergessen Sie, was ich gesagt habe.“
    „Schon gut.“ Sie winkte ab. „Ich bin seit achtundzwanzig Stunden auf den Beinen. Jetzt zeigen Sie mir etwas, das mich wieder aufrichtet.“
    Henryk tastete nach seinem Nacken. Der Kragen seines Shirts fühlte sich kalt an. Sie war wieder da, Marthas Schale aus Eis. Glatt und glänzend und spröde. Plötzlich fürchtete er, dass es ihr nicht gefallen würde. Das Ideal, in das er sie hineingepresst hatte.
    „Haben Sie einen Kaffee für mich?“
    „Sicher.“
    Immer noch barfuss, tappte er zur Küche. Er ließ Wasser in die Kanne, hantierte mit dem Kaffeepulver. Der Gestank der Blumen, die faulend in der Spüle lagen, stieg ihm in die Nase. Er wartete, während der Kaffee durchlief. Bewusst zögerte er den Moment heraus, spülte eine Tasse und trocknete sie sorgfältig ab. Dann endlich nahm er die Kanne und trug sie zurück in den Raum. Der Laut, mit dem er die Tasse auf den Tisch stellte, zerbrach die empfindliche Stille.
    Martha sah ihn an. Ihre Miene hatte sich verändert. „Sie haben weiter gemalt.“
    Sie stand vor der Leinwand. Sein Blick schweifte zur Seite und blieb an ihren Wimpern hängen. Denen der anderen Martha. Er musste das ändern, dachte er fahrig. Sie waren zu dicht gesetzt. Und leicht gebogen, wo das Oberlid begann.
    Leicht gebogen, und hell an den Spitzen. Das war ihm gar nicht aufgefallen.
    Ihre Lippen öffneten sich leicht. Er glaubte zu sehen, wie ihr Atem in der Luft flatterte.
    „Ich kann das ändern“, murmelte er. „Wenn Sie es möchten. Ich übermale es einfach. Soll ich das tun?“
    Sie bewegte sich. Er konnte hören, wie Stoff raschelte, wie sie einen Fuß auf den Boden setzte. Dann spürte er ihre Hand. Sie streifte ihn leicht am Arm, so wie im Wagen vor ein paar Tagen. Ihre Finger berührten seine Haut, er trug seine Rüstung nicht.
    „Nein“, sagte sie. „Übermalen Sie es nicht.“
    Als sie ihre Hand zurückzog, fühlte er Enttäuschung, fein wie ein Papierschnitt.
    „Hatten Sie Angst, es gefällt mir nicht?“
    Henryk betrachtete einen Lichtfleck an der Wand. Es dämmerte. Die Straßenbeleuchtung glomm auf.
    „Ja“, erwiderte er. „Sie ist nicht so, wie Sie sind.“
    „Wie ist sie denn?“
    „Weicher.“ Er zögerte. „Sie wird beschützt. Sie muss nicht hart sein. Sie ist wie die Blumen.“
    „Und sie weiß das. Sie hat großes Glück.“ Martha schürzte die Lippen. „Das hat nicht jeder.“
    „Und Sie?“
    „Ich war einmal wie die Blütenblätter. Jetzt bin ich wie die Dornen.“
    „Mohn hat keine Dornen.“
    „Und Tulpen auch nicht, ich weiß. Wollen wir sie durch Rosen ersetzen?“
    Ihre Augen waren sehr hell. Sie hob einen Arm und spielte mit seinen Locken. Henryk stand wie erstarrt.
    „Würde sie“, Martha machte eine Kopfbewegung zum Gemälde, „so etwas tun?“
    „Was tun?“
    „Ihren Schöpfer verführen.“ Ihre Finger glitten seine Wange hinunter und tasteten nach seinen Lippen.
    „Nein, das wäre nicht nötig.“
    „Warum?“
    „Der Schöpfer ist ihr längst verfallen.“
     
     
     
    Er wachte vor ihr auf. Ein schneeschwerer Morgen kroch aus dem Dunkel herauf. Eis bedeckte die Fensterscheiben. Martha lag auf der Seite, eine Hand dicht an ihrem Körper, die andere im Kissen vergraben.
    Henryk berührte ihre Schulter und zog eine Linie zu ihrem Kinn. Sein Armband klingelte leise. Sacht beugte er sich vor, um sie zu küssen. Ihr Haar roch nach Kamille. Er hatte nicht genug bekommen können, von diesem Duft. Auch nicht, als sie ihm lachend angeboten hatte, eine Haarsträhne abzuschneiden, damit er sie stets bei sich tragen konnte.
    Schläfrig erwiderte sie den Kuss, dann öffnete sie die Augen. „Du bist so schön“, flüsterte sie.
     
     
    „Was ist mit Deiner Familie?“
    Er streichelte ihre Brüste. „Warum willst du das wissen?“
    „Ich interessiere mich für dich.“
    „Ja?“ Er legte den Kopf auf ihren Bauch.
    „Siehst du sie manchmal?“
    „Nein.“ Henryk lauschte ihrem Atem. „Schon lange nicht mehr.“
    „Wo sind sie?“ Ihre Finger verflochten sich in seinem Haar.
    Die gelöste Stimmung verlieh ihm Mut. „Mit vierzehn bin ich von zu Hause fortgelaufen.“ Zu seiner Überraschung fühlte es sich gut an, ihr davon zu erzählen. „Als ich klein war, hatten wir eine Wohnung in Bukarest. Vom Balkon aus konnten wir den Parlamentspalast sehen.“ Er hob den Kopf und sah sie an. „Interessiert dich

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