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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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das?“
    „Nein“, sagte sie lachend, „ich frage aus reiner Höflichkeit, was sonst?“
    „Mein Vater war Geiger an der rumänischen Nationaloper. Von einer Auslandstournee ist er nicht zurückgekehrt. Ich war damals noch sehr klein. Meine Mutter sagte immer, dass er uns eines Tages nachholen würde. Aber dann hat sie wieder geheiratet, und wir sind nach Corcova gezogen.“
    „Corcova?“
    „Eine Kleinstadt im Süden. Ich bekam einen Stiefbruder.“ Die Härchen auf ihrem Bauch zitterten, als sein Atem sie streifte. „Wir haben uns nicht verstanden.“
    „Bist du deshalb fortgelaufen?“
    „Es gab einen Zwischenfall. Wir haben uns geprügelt.“ Er schwieg eine Zeitlang. „Ich war vierzehn. Sie hatten gerade Ceausescu gestürzt, die Grenzen standen offen. Es herrschte Anarchie. Ich dachte, ich könnte nach Belgien trampen und meinen Vater finden. Ich wollte so sein wie er.“
    „Hast du ihn gefunden?“
    „Nein. Das war ein verrückter Traum.“
    „Aber jetzt bist du hier.“
    „Ja“, murmelte er. „Das ist wahr.“
    „Und dann bist du ein Maler geworden.“
    Henryk lächelte, ganz ohne Fröhlichkeit.
     

10
     
     
     
    Auf der Chaussee de Gand, dem Autobahnzubringer in Richtung Westen, herrschte dichter Verkehr. Martha bremste vor einer Ampel. Der Wagen kam weich zum Stehen. Henryk drückte sich in die Polster und trank den Duft von Holz und Leder. Es roch nach Luxus. Geborgenheit.
    Feiner Eisregen lief über die Scheiben, doch hier drinnen war es warm. Unter den Reifen knirschte Schneematsch, als der Wagen wieder anrollte. Er beobachtete Marthas Hand, die entspannt am Lenkrad lag.  
    „Wohin fahren wir?“
    „Eine Überraschung. Es wird dir gefallen.“
    „Hätte ich eine Zahnbürste einpacken sollen?“
    Sie lächelte.
    Henryk berührte ihr Haar. In weichen Strähnen fiel es über ihre Schultern. Sie hatte es nicht in einen Knoten gebunden, wie sonst.
    „Musst du nicht arbeiten?“
    „Ich bin auf einer Geschäftsreise.“ Ihr Lächeln vertiefte sich. „Außerdem ist ab morgen Wochenende.“
    Was ist mit deinem Mann, wollte er fragen. Aber er tat es nicht. Sie sprach nicht über ihre Ehe. Vielleicht hatten sie sich nichts mehr zu sagen. So etwas kam vor. Sie hatte die Nacht mit ihm verbracht und nicht mit ihrem Mann.
     
     
     
    Sie ließen Brüssel hinter sich und schwammen mit dem Verkehr in Richtung Küste.
    Gegen Mittag schimmerte eine blasse Sonne durch die Wolken. An den Straßenrändern taute der Schnee.
    „Wann bist du das letzte Mal verreist?“, fragte Martha.
    „Vor fünf Wochen. Nach Deutschland, wegen den Bleierzen.“
    „Nein, nur so zum Vergnügen. Eine Urlaubsreise.“
    Henryk schwieg. Die Befangenheit kehrte zurück, ein altbekanntes Gefühl. Er fürchtete sich davor. Er kämpfte dagegen an.
    Martha wandte ihm den Kopf zu. „Was ist?“
    „Ich bin noch nie zum Vergnügen verreist.“ Er kam sich klein vor, weil es die Wahrheit war.
    „Warum?“
    „Ich habe es mir nie leisten können.“
    Martha nickte. „Dann wird es höchste Zeit.“
    „Und wohin verreisen wir?“
    „Nach Oostende. Ein Wochenende am Meer.“
     
     
     
    Martha hatte eine Suite im Thermae Palace gebucht, einem eleganten Hotel direkt an der Strandpromenade, das aus den dreißiger Jahren stammte. Die Front mit den weißen Säulen und die hohe Eingangshalle atmeten den Luxus verblichener Zeiten.
    Auf einem Tischchen in ihrem Zimmer standen Obst und Pralinen, zusammen mit einer Flasche Champagner. Fenstertüren führten zum Strand hinaus. Henryk stieß sie weit auf. Ein frischer Wind verwirbelte die Vorhänge und trug den Geruch von Salz und Nebel herein.
    Martha goss Wasser in eines der Gläser. „Gefällt es dir?“
    „Ich habe nicht viele Vergleichsmöglichkeiten.“ Henryk drehte sich um. „Der Ort fühlt sich magisch an.“
    „Das macht der Winter. Er verzaubert die Küste.“
    Der Strand war leer, bis auf ein paar Spaziergänger. Wind zupfte an seinen Haaren.
    Sie stellte das Glas zurück auf den Tisch. „Vom Meer her sieht es aus wie ein griechischer Tempel. Vor allem abends, wenn die Sonne untergeht. Wir könnten ein Boot mieten und uns herausrudern lassen.“
     
     
     
    Sie fanden ein Restaurant am Fischerkai, in dem sie frische Muscheln und Weißwein bestellten. Später wanderten sie den Strand hinunter, der Dämmerung entgegen. Die Luft kühlte ab und ließ sie frösteln. Eng umschlungen liefen sie weiter, ihre Füße versanken im Sand. Sie folgten einer Treppe hinauf zum Damm

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