Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
wieder zu. Seine Augen wurden schmal. Langsam machte er zwei Schritte zurück. Als er Henryk ansah, war alle Freundlichkeit aus seiner Miene verschwunden. Röte kroch seinen Hals hinauf. „Sind Sie verrückt geworden?“
„Was meinen sie?“ Henryk wollte zurückweichen, aber der Tisch stieß gegen seinen Rücken.
„Hat sie das schon gesehen?“ Verhoevens Stimme schraubte sich hoch und hallte vom Raum zurück.
„Martha?“
„Wie authentisch ist ein Vermeer, der das Porträt seiner Käuferin zeigt? Was glauben Sie?“ Der Galerist packte ihn an der Schulter. „Der Auftrag war klar formuliert, oder nicht?“
Henryk wandte den Kopf ab, als Verhoevens Atem ihn traf.
„Es gefällt ihr“, sagte er leise.
„Was?“
„Sie mag das Porträt“, wiederholte Henryk.
Er wollte, dass der Galerist ihn losließ, dass die Aura roher Gewalt abebbte, dieser roter Schleier, der ihm Kopfschmerzen machte. Verhoevens Wangen zitterten. Seine Augen huschten über das Gemälde wie Spinnenfüße. Endlich lösten sich die wuchtigen Pranken. Henryk taumelte zur Seite.
„Sie verschenken so viel Potential.“ Der Mann schnaubte. „Die Haussen hat es gesehen, sagen Sie? Und sie ist einverstanden?“
„Sie will es so.“ Henryks Stimme festigte sich. „Sie hat es sich so gewünscht.“
„Trotzdem. Sie wirft ein Vermögen weg.“
„Sie haben gesagt, dass es nicht für den Verkauf bestimmt ist.“
Verhoeven straffte sich. „Nein, ist es nicht. Aber stellen Sie sich nur einmal vor ...“
Stille breitete sich im Raum aus.
„Ich bin kein Kunstfälscher“, sagte Henryk.
„Dafür, dass Sie kein Kunstfälscher sind, betreiben Sie aber einen ganz schönen Aufwand.“
„Wenn Sie versuchen, es zu verkaufen“, die Silben rutschten ineinander, „dann erzähle ich jedem, dass es nicht echt ist.“
„Es tut mir leid.“ Verhoeven hob beide Hände in einer beschwichtigenden Geste. Ein Lächeln verformte seine fleischigen Lippen. „Es tut mir leid, hören Sie? Ich hatte nur Angst, die Kundin könnte verärgert sein.“ Er stockte. „Es tut mir leid. Vergessen Sie’s.“
Henryk starrte ihn an.
„Kein Mensch“, brummte Verhoeven, „will das Ding für echt verkaufen.“
12
Am Weihnachtsmorgen fiel frischer Schnee. Eine dicke weiße Decke breitete Stille über die Straßen und Gehwege.
Henryk stützte sich auf den Waschbeckenrand und würgte. Seine Augen brannten. Er spürte sein Blut in den Schläfen pulsieren. Als der Brechreiz endlich abklang, schöpfte er Wasser in die hohle Hand und trank mit gierigen Schlucken. Er starrte sein Spiegelbild an. Seine Pupillen waren blutunterlaufen, die Haut wächsern und fahl.
Es ging ihm schlecht, schon seit dem Wochenende. So schlecht, dass er Martha angerufen und sie gebeten hatte, sich von ihm fernzuhalten. Er musste keinen Arzt konsultieren, um zu wissen, was ihm fehlte. Martha hatte er etwas von Grippe erzählt, aber das stimmte nicht. Sein Körper kämpfte mit den Giften. Die Lösungsmittel und die Bleidämpfe. Vor allem das Blei.
Wie betrunken taumelte er zurück ins Zimmer.
Es war noch früh am Morgen. Im Treppenhaus hallten Kinderstimmen. Heiligabend, sie würden den Baum schmücken, nach Einbruch der Nacht die Kerzen entzünden. Geschenke auspacken, gemeinsam Lieder singen.
Weihnachten, das Fest der Liebe.
Er gestattete sich ein schmales Lächeln, lehnte sich gegen den Tisch und betrachtete das Gemälde. Die Untermalung war abgeschlossen, zum Teil schon farbig ausgeführt. Mennige für das Kleid und die Mohnblüten, ein helles Gelb für Marthas Haar. Stolz erhob sich über die Schmerzen. Dieses Gemälde übertraf jetzt schon alles, was er zuvor gemalt hatte.
Dann überlief ihn eine neue Welle Schüttelfrost, so dass er die Tischkante mit beiden Händen umklammern musste, um nicht zu stürzen. Vielleicht war es so, dass er etwas von seiner Lebenskraft abgeben musste, um das Bild zu beseelen. Eine Form von Tribut an die Muse. Etwas Wertvolles opfern, um die Schöpfung zum Leben zu erwecken.
Der Anfall verebbte. Er tastete nach den Tabletten zwischen den Farbtiegeln. Mit zitternden Fingern drückte er zwei aus der Folie und würgte sie hinunter.
Mit Einbruch der Abenddämmerung ließen wenigstens die Kopfschmerzen nach. Glockenläuten streifte sein Fenster, die Christmesse in der Eglise du Gesu, der Jesuitenkirche an der Rue Royale. Der Pinsel zwischen seinen Fingern fühlte sich an wie ein Fremdkörper.
Mit langsamen Strichen malte
Weitere Kostenlose Bücher