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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Doch als die Begräbniszeremonie endete und die Gäste begannen, den engen Angehörigen der Toten ihre Kondolenz auszusprechen, kam Bewegung in die Menschen. Einem Impuls folgend reihte er sich in die Schlange ein.
    „Was hast du vor?“, zischte Verhoeven.
    „Ich spreche ihm mein Beileid aus.“
    „Bist du verrückt?“
    Zwei Frauen vor ihm setzten sich in Bewegung. Er schloss zu ihnen auf, ohne Verhoeven zu antworten.
    „Was willst du damit erreichen?“
    Die ältere der beiden Frauen drehte sich um. Für einen Herzschlag ruhte ihr Blick auf Henryks Gesicht. Dann wanderten die wässrigen Augen weiter. Steif hielt er den Kopf nach vorn gerichtet. Er tat so, als habe der Galerist nicht mit ihm gesprochen, sondern mit jemand anderem.
    Dann stand er nur noch zwei Meter von Johan Haussen entfernt. Der Mann sah elegant aus, wie einer dieser Manager, deren Bilder in den Zeitungen gedruckt werden. Reglos stand er, schüttelte Hände und lächelte höflich. Unmöglich zu sagen, was er empfand, hinter der kühlen Maske. Henryk dachte, wie sehr er ihr glich, in diesem Moment.
    Das war es vor allem, was ihn von Henryk trennte. Die Ebenbürtigkeit. Martha war Teil einer anderen Gesellschaft gewesen und ihr Gatte teilte diese Zugehörigkeit.
    Henryk dagegen –
    Röte überflutete sein Gesicht, als plötzlich niemand mehr zwischen ihm und Johan Haussen stand. Er blickte in reglose graue Augen und fühlte sich gedemütigt, weil er zu ihm aufsehen musste. Haussen war gut einen Kopf größer als er. Henryk ergriff die knochige Hand. Er murmelte etwas, das er selbst kaum verstand und Haussen antwortete mit einer mechanischen Dankesformel. Schon schweiften die grauen Augen weiter, zum nächsten Kondolenzgast in der Reihe.
    Henryk machte ein paar Schritte seitwärts, umrundete das offene Grab. Blumen bedeckten den Sarg. An drei Seiten waren Kränze aufgeschichtet. Er erfasste Verhoeven im Augenwinkel, der ein paar Sätze mit Haussen wechselte und wandte sich ab. Er begann zu laufen.
    Nach ein paar Metern bog er vom Weg ab und überquerte ein Stück Rasen. Gebüsch deckte seinen Rücken. Er bückte sich unter tief hängendem Efeu hindurch und tauchte ein in den Schatten der Bäume.
    Dahinter begann die Backsteinmauer. Verkehrslärm wehte herüber, das Klingeln einer Straßenbahn. Henryk blieb stehen und warf einen Blick zurück. Er hatte gefürchtet, dass Verhoeven ihn einholen würde, aber niemand folgte ihm.
    Erst jetzt spürte er den Wind, der durch seinen zerschlissenen Mantel drang. Am Himmel zogen sich die Wolken zusammen und verschleierten die Sonne zu einem bleigrauen Klumpen. 
     

 
    II   Helene
     
     
     
     
    Für einen Maler gibt es nichts Schwierigeres, als eine Rose zu malen, denn dazu muss er zuerst alle Rosen vergessen, die jemals gemalt worden sind.
      
    (Henri Matisse)
     

17
     
     
     
    Einige Monate später.
     
    Ein Tropfen prallte auf den Boden der Spüle und zerplatzte. Das Wasser floss über bräunlich verfärbten Stahl und versickerte im Dunkel.
    Henryk sah zu, wie sich der nächste Tropfen löste. Er suchte sein Spiegelbild darin, einen hellen Fleck, der auch vom Sonnenlicht herrühren konnte.
    Trockenes Gestrüpp bedeckte die Anrichte. Es knisterte, als er mit dem Handrücken dagegen stieß. Tulpen und eine einzelne Rose. Seit Marthas Tod stand die Vase auf dem Fensterbrett leer. Als die Stiele begonnen hatten zu faulen, hatte er den Strauß aus dem Wasser genommen und in die Küche gelegt.
    Vier Monate waren seither vergangen.
    Es fühlte sich an wie ein ganzes Leben.
    Er öffnete den Hahn und trank Wasser aus den hohlen Händen, dann richtete er sich auf und betrachtete seine Hände. Die Schnitte waren abgeheilt. Nur eine dünne rote Linie unterbrach seine Haut, dort wo die Finger ansetzten.
    Auf dem Rückweg ins Atelier setzte er seine Füße so, dass sie nicht vom Pfad abwichen, einer Linie im Staub, die sich bogenförmig durch den Raum schwang. Er heftete seinen Blick auf den Boden und setzte die Füße, einen Schritt vor den anderen, wie ein Kind, das auf einer Kreidelinie balanciert. Kühl schmiegte sich der Stein gegen seine nackten Sohlen. Er achtete penibel darauf, den Rand des Pfades nicht zu verletzen. Als er das große Fenster erreichte, blickte er zurück und fühlte leise Befriedigung, weil er beinahe keinen Staub aufgewirbelt hatte.
    Ein Rattern an der Tür ließ ihn zusammenzucken. Die Metallklappe öffnete sich. Mit einem flappenden Geräusch rutschte die Zeitung über den

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