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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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nicht im Mittelpunkt stand, sondern unsichtbar bleiben konnte. Dennoch krümmte sich ein Teil von ihm zusammen und wollte sich in den Schatten verbergen.
    Das Foyer fasste eine schier unübersehbare Zahl an Menschen. Eine festliche Atmosphäre erfüllte den Saal, Gespräche und Lachen und raschelnde Seidenstoffe. Er driftete am Rand der Menge entlang, hinüber zu den großen Flügeltüren, die in die Ausstellung führten und noch geschlossen waren.
    Mechanisch griff er nach einem Glas vom Tablett eines Kellners. Seine Kehle war ausgedörrt und gleich darauf wurde ihm bewusst, dass er auch hungrig war.
    Einen Augenblick später bemerkte er, dass ein fremder Blick auf ihm ruhte. Es war eine Frau, und zuerst nahm er nichts weiter wahr als ihr Kleid, das als roter Farbfleck aus der Menge leuchtete. Dann sah er ihr Gesicht und erschrak so sehr, dass er zusammenfuhr. Seine Selbstbeherrschung zersprang. Er drehte sich um, stieß gegen andere Menschen und bahnte sich gewaltsam einen Weg für die Flucht, hielt nicht einmal inne für gemurmelte Entschuldigungen. Atemlos taumelte er in eine Nische und verharrte dort, den Rücken gegen die Wand gepresst. Sein Mund war trocken, Blut stieg ihm ins Gesicht. Mühsam bezwang er den Fluchtinstinkt.
    Er wartete, bis sein Herzschlag sich beruhigte. Und versicherte sich wieder und wieder, dass seine Wahrnehmung ihm einen Streich gespielt hatte.
     
     
     
    Später, als die Menge zur Ruhe gekommen war, hielt er verstohlen Ausschau nach der Frau. Philipp Gibelin, der Kurator der Ausstellung, hielt die Eröffnungsrede.
    „... und das ist es, was die Delfter Lukasgilde so berühmt machte, auch weit über die Stadtgrenzen hinaus.“
    Jemand berührte Henryks Arm. Er wich zur Seite und ließ einen Kellner passieren. Hinter dem Mann schlossen sich die Leiber wie eine schnell nachfließende Strömung. Vom roten Kleid keine Spur.
    Vielleicht hatte er sich das alles nur eingebildet. Er schluckte und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Redner.
    „Deshalb gilt unser tief empfundener Dank Peter Baeskens.“
    Seine Nerven spannten sich mit einem Ruck.
    Beifall brandete auf und brach sich in Wellen an den Wänden. Er hatte nicht gehört, was diesem Satz vorausgegangen war, doch der Name elektrifizierte ihn. Gierig lauschte er darauf, dass der Applaus verebbte und Gibelin weitersprach.
    Ein zweiter Mann trat neben den Kurator, doch er konnte auf die Entfernung nicht erkennen, ob es sich wirklich um Baeskens handelte, den Sammler, der es nach der missglückten Vernissage im vergangenen Jahr abgelehnt hatte, seine Bilder zu kaufen.
    Die Stille kehrte zurück in den Saal. Irgendwo hallte ein Räuspern, das versickerte, als Baeskens das Wort ergriff. Er war ein ausgezeichneter Redner. Seine Stimme, klar und melodisch, fußte auf einer natürlichen Selbstsicherheit, wie sie nur sehr charismatischen Menschen zu Eigen ist. Er fesselte seine Zuhörer, flirtete mit ihnen und weckte ihre Emotionen. Henryk konnte sich der Wirkung nicht entziehen, obwohl er wütend auf Baeskens gewesen war und diese Wut für einen Moment wieder aufgeflammt war, als Gibelin seinen Namen nannte.
    Baeskens erzählte, wie er das Gemälde entdeckt hatte. Er spann seine Geschichte wie eine mystische Legende, die in diesem Moment zum Leben erwacht. Vierhundert Gäste hingen ihm wie verzaubert an den Lippen.
    Und Henryk, der zwischen Faszination und Bestürzung schwankte, lauschte ihm wie alle anderen.
    Eine Dame hatte den Nachlass ihrer Mutter veräußert, darunter ein Dutzend Gemälde, die von Feuchtigkeit und nachlässiger Behandlung beschädigt waren. Als sich die Familie 1940 überstürzt vor dem Vormarsch der Nazis in Sicherheit brachte, waren die Bilder in ihrem Keller eingelagert worden. Und dort rotteten sie vor sich hin, sechzig Jahre lang.
    „Nach ihrer Rückkehr fand niemand aus der Familie Muße, die alten Schinken auszupacken und wieder aufzuhängen“, sagte Baeskens. Vereinzelt brandete Gelächter auf. „So gerieten sie in Vergessenheit. Nach dem Tod ihrer Mutter beauftragte die Erbin einen Kunsthändler mit der Schätzung und Veräußerung der Gemälde. Zwischen Landschaftsschinken und Familienporträts entdeckte der Mann etwas Erstaunliches.“ Er machte eine kalkulierte Pause. „Ein Gemälde mit einer Frau in Delfter Tracht, die Blumen in einer Vase arrangiert. Das Bild war schwer beschädigt, die Leinwand an zwei Stellen gerissen. Trotzdem war das Motiv ungewöhnlich und stach aus der Sammlung heraus. Der

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